Freitag, 23. Juli 2010

unibrennt - ein bedeutender Schub für die zivigesellschaftliche Nutzung & Vernetzung im Web 2.0

Als das Audimax der Universität Wien am 22. Oktober 2009 besetzt wurde, geschah mehr, als nur das. Binnen weniger Stunden wurde nicht nur eine Webseite ins Leben gerufen, sondern auch eine Facebook-Seite gestartet und ein Twitter-Account angelegt. Es folgten ein Ustream-Account (Für Liveübertragungen via Internet, später, im Spätwinter, Anfang 2010, abgelöst durch einen neuen Ustream-Account), ebenso ein Youtube- und ein flickr-Account für Video- und Foto-Uploads. "Selbstverständlich" wurden natürlich auch rasch Email-Adressen (unibrennt @ gmail) eingerichtet, die Presse-Gruppe (Medienbetreung, Webseite redaktionell, Social Media) legte sich ein Presse-Handy zu und einige Wochen später startete das unibrennt-Wiki.

Was das für den Umgang mit Web 2.0 in Österreich bedeutet, wird nun allmählich klar. Meiner Meinung nach brachte die Audimax-Besetzung mit ihrer unibrennt Digital Community einen großen Schub für die zivilgesellschaftliche Nutzung und Vernetzung auf Facebook und Twitter in Österreich. Auch über die oppositionell zu verortende sogenannte Zivilgesellschaft hinaus, nämlich direkt in den Mainstream, hinterließ die unibrennt-Bewegung spuren. Social Media musste nun auch von Parteien als nicht zu vernachlässigender Kommunikationskanal anerkannt werden. Dass dies zunächst nicht der Fall war, lässt sich wohl am besten am Kommentar des damaligen Wissenschaftsministers Johannes Hahn erkennen, der am Tag zwei der Besetzung in einem ORF-Fernseh-Interview mit einem verschmitzten Lächeln allen Ernstes meinte- ich zitiere seine exakte Ausdrucksweise: "Die Spontanität von Spontis ist enden wollend." Die Spontanität dauerte immerhin 60 Tage an, davon zumindest 40 Tage mit teilweise unglaublich dichtem Programm (neben den gern verschmähten Partys, die immer seltener wurden, vor allem Gastvorträge, Diskussionsrunden, alternative Vorlesungen) und auch dichtem Besucherandrang - zuletzt war das besetzte Audimax bis auf über den letzten Rang hinaus gefüllt (also mindestens 800 [!] Personen, siehe auch Foto), als Jean Ziegler zu Vortrag und Diskussion erschien (übrigens nachzuhören und -sehen auf Ustream, bereits über 9.200 Views!) - und das einen Tag, bevor er genau das selbe bei 6 € Eintritt im (ausverkauften) Volkstheater tat, wo übrigens zwei unibrennt-Aktivisten auf die Bühne kamen um für die Ringdiskussionen im Audimax zu werben und von Ziegler unter Applaus des Publikums zum bleiben animiert wurden - es wurden zwei zusätzliche Sessel geholt - unibrennt berichtete (in diesem Fall sogar ein Bericht von mir ;)).

Dass die "Spontanität" so lange andauerte, daran trug sicher auch "Social Media" einen Gutteil bei, vermutlich sogar die Hauptverantwortung. Gut, auch ohne Web 2.0 oder Social Media hätte man eine Webseite ins Leben rufen können, die mit aktuellen Informationen gespeist wird. Aber ob man damit so viele Leute erreicht hätte, ohne sie direkt auf Facebook, Twitter, yotube, flickr, ustream usw. "abzuholen"? Wohl eher nicht. Der Vorteil von Web 2.0 / Social Media für soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Initiativen, im konkreten Fall: unibrennt, liegt auf der Hand: Man ist nicht nur unabhängiger von der Berichterstattung in institutionalisierten Medien, sondern man beeinflusst deren Berichterstattung auch. Nicht selten wurde in Medienberichten (meist auf den Webseiten führender Tageszeitungen, häufig auf Basis einer APA-Aussendung) "...schreiben die Besetzer auf Facebook..." (oder ähnliches) als Quelle genannt. Ich erinnere diesbezüglich auch eine Aussage Robert Misiks (der als einer der ersten Publizisten im Audimax war, am 27. Oktober) bei einem Vortrag im Audimax (ebenfalls zum Nachhören auf Ustream, sehr empfehlenswert! Aussage zum "Livestream-Gucken" bei Minute 20:25), der meinte, wenn hier Plenum sei (das in den ersten Wochen häufig bereits Mittags oder am Nachmittag war), herrsche Stillstand in den Redaktionen Österreichs, da alle Livestream schauen würden. Das war natürlich eine Übertreibung, aber etwas wahres wird da schon dran sein. Es genügt ja schon, wenn alle JournalistInnen Livestream schauen, die sich zumindest ansatzweise mit Hochschulpolitik oder gesamtgesellschaftlichen Themen beschäftigen, Livestream vom Plenum eines besetzten Hörsaals schauen.

Twitter & Facebook

Als ich zum ersten Mal von Twitter hörte, das war vor der Audimax-Besetzung, war dies in Zusammenhang mit Armin Wolf, dem Anchorman der ORF-ZIB2, der als einer der ersten "prominenten" Österreicher Twitter nutzte. Was ich damit anfangen sollte, dass ein Nachrichtensprecher 140 Zeichen lange Tweets von sich gibt, war mir allerdings nicht klar. Das änderte sich aber grundlegend mit der Besetzung des Audimax, wo von den ersten Stunden an Facebook-, Twitter- und studiVZ-Adressen auf die große Leinwand projiziert wurden. Ich hatte damals bereits einen Facebook-Account, nutzte ihn aber nicht. Ich wurde rasch "Fan" der Audimax-Besetzung (als 117.) und verfolgte die Seite seither laufend und mit Begeisterung. Nebenbei etablierte sich dabei Facebook auch in meinem Privatleben - wobei mittlerweile viele Leute zu meinen Kontakten zählen, die ich erst durch unibrennt kennen gelernt habe, und teilweise erst seit unibrennt online sind. Ähnliches, aufgrund seiner geringen Reichweite (ca. 25.000 User) vermutlich noch krasser, auch auf Twitter: Anfang November startete ich meinen Twitter-Account, um Zugang zu "Echtzeit-Insiderinformationen" rund um das Audimax und unibrennt zu bekommen. Wie ich mittlerweile weiß, war ich nicht der einzige, der das so sah. Und viele "Tweeter", die heute über Politik, Gesellschaft, Soziales, Kultur oder ganz was anderes twittern, legten ihren Account aufgrund der Audimax-Besetzung, als unibrennt-Sympathisanten an. Manche - so wie ich - haben noch heute das unibrennt-Logo in einer Ecke des Profilbildes, obwohl unibrennt längst nur noch einen kleiner Teil aller Tweets ausmacht. Dass sich diese subjektive Erfahrung sehr wohl, in gewissem Ausmaß, verallgemeinern lässt, wird durch folgende Twitter-Analyse deutlich: In einer auf zweifache Weise um Spam-Accounts bereinigte und nur auf die Nutzung in Österreich konzentrierten Statistik liegt der unibrennt-Account auf Rang 13 - knapp hinter dem Internet-Pionier unter den Medien, @derStandardat und @webstandard, den PublizistInnen und JournalistInnen Armin Wolf, Ingrid Thurnher, Robert Misik, Corinna Milborn, Dieter Bornemann, Martin Blumenau, @fm4stories, zwei Bloggern sowie dem einzigen (!) Politiker unter den Top-10, den Grünen Christoph Chorherr. Alle anderen Accounts - seien es Medien, Promis, Blogger, Organisationen, Parteien, Institutionen, Unternehmen - was auch immer - liegen in dieser bereinigten Reichweite-Statistik hinter unibrennt.

Da unibrennt sehr viele Follower hat, die relativ neu bei Twitter sind (und häufig "unibrennt" als erstes zu ihren "followings" hinzufügen) und - da sie echte Menschen und keine Spam-Schleudern sind - nur wenigen, vielleicht ein paar Dutzend, anderen Tweetern folgen, zählen diese für die Berechnung der Reichweite viel mehr als jene, die hunderten oder tausenden anderen folgen, die dann logischerweise den unibrennt-Tweets in der Fülle der übrigen Tweets weniger Aufmerksamkeit schenken können und diese wohl häufig auch einfach übersehen.

unibrennt ist daher mit 831 Followern, die einen Ort in Österreich als "Location" angegeben haben, einer der "meistgefolgten" Accounts unter (den ca. 25.000) österreichischen Twitter-Usern. Insgesamt folgten im Juni 2010 3.377 Tweeter. Die Differenz zu 831 ist zum einen durch "echte" Follower in Deutschland und der Schweiz, in geringerem Ausmaß auch durch "echte" Follower in anderen Ländern zu erklären. Aber vermutlich an die 50 % dieser Follower dürften Spam-Accounts sein - die aber nur selten Österreich als "Location" nennen und daher für die Reichweite - ebenso wie "echte" Follower im Ausland, nicht berücksichtigt wurden. Von diesen 831 "echten österreichischen" (die FPÖ wäre stolz ;)) Followern sind wiederum 563 "in den letzten 28 Tagen" aktiv gewesen. Diese wiederum dürften derart junge Accounts mit wenigen anderen "followings" sein, dass unibrennt in der Österreich-Reichweite auf Platz 13 kommt.

Was ich daraus ableite ist, dass die Audimax-Besetzung und die dazugehörige "Digital Community" in Österreich hunderte Menschen zu Twitter gebracht hat. Diese wiederum, glaube ich in den letzten 8 Monaten beobachtet zu haben, sind die Basis und häufig auch der Anreiz für alternative, oppositionelle, kritische, subversive, zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine, Gruppierungen und Organisationen, sich auf Twitter zu registrieren um dort mit dem Pool aus mehreren Hundert, vielleicht auch Tausende, besonders medienaffinen Bruchteil der österreichischen Gesellschaft, zu kommunzieren. Dies ist weniger für die konkrete Mobilisierung zu beispielsweise Demonstrationen oder Unterschriftenaktionen von Bedeutung, sondern wohl eher aus dem Blickwinkel der "Meinungsführer"-Forschung. Diese hunderten, tausenden, gesellschaftskritischen Twitter-User verbreiten in Echtzeit Nachrichten, Blogbeiträge, Fotos, Videos, Informationen, Ankündigungen aus ihrem Umfeld und Interessensbereich - und geben jene Infos, die sie erreichen und als relevant erachten, an ihr persönliches, nicht auf Social Media befindliches, Umfeld weiter - oder via Facebook an ihren nicht-twitternden Freundeskreis. So macht schließlich ein Video von einem prügelnden Polizisten an einer Demo rascher die Runde, als manchen lieb ist. Und nach einigen hundert Views wittert manchmal auch schon ein/e Journalist/in die Spur - das Thema kommt auf die Online-Ausgabe einer Zeitung und zieht - wenn als bedeutend genug erachtet - weitere Kreise in anderen (herkömmlichen und alternativen) Online-Medien, schließlich mitunter auch in Printmedien, Radio und Fernsehen.

Twitter als Quelle alternativer Informationen und Nachrichten, Twitter als Plattform der Gegenöffentlichkeit. unibrennt als Katalysator dieser Gegenöffentlichkeit in Österreich. Das, wohl nicht als einziges, hat die Audimax-Besetzung der österreichischen Gesellschaft gebracht.
 
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