Montag, 21. März 2011

Scheinheilig und verlogen - Linke und die arabischen Revolutionen

Stell dir vor, in der arabischen Welt ist Revolution und keiner schaut (mehr) hin. So musste man die Berichterstattungslage aller großen Medien in den letzten 10 Tagen, nach dem Erdbeben samt Reaktorkatastrophe in Japan beschreiben. Die Folge war, dass Gadaffi im Schatten der Weltaufmerksamkeit mit noch rücksichtsloserer Gewalt eine Stadt nach der anderen entlang der libyschen Küste Richtung Osten von den Rebellen zurückeroberte. Maßgeblich für den Erfolg verantwortlich waren Bombardements aus der Luft, gegen die die hauptsächlich leicht bewaffneten "Rebellen" (eigentlich Demonstrierende, die sich nach ersten Luftangriffen auf Demonstrationen bewaffnet haben und dabei von Überläufern aus der Armee unterstützt werden) nur wenig aussetzen können.

Weltpolitik: Alles wie immer - nur anders

Begünstigt durch den (nicht ganz unberechtigten) Zweifel des Westens, in die bewaffneten Aufstände könnten maßgeblich auch Islamisten und Djihadisten beteiligt sein, zögerten westliche Großmächte, NATO aber auch der UNO-Sicherheitsrat lange, entschieden gegen den Staatsterror Gadaffis vorzugehen. Man fürchtete auch (ebenfalls nicht unbegründet) den Afghanistan- und Irak-Effekt, der den USA und seinen Bündnispartnern nichts als Ärger, Hass und Terror gebracht hat. Unter von höchsten Stellen konstruierten Lügen zog eine ideologisch-fanatische, von handfesten wirtschaftlichen Interessen getriebene, mit der Ölindustrie dicht verwobene Kriegskoalition unter der Führung George Bush juniors (der noch dazu einen Vaterkomplex auszugleichen hatte) in Afghanistan und in den Irak ein. Die Ölfelder wurden okkupiert, werden streng bewacht - die versprochene Demokratisierung ist nebensächlich. Statt Geld für Schulen, Infrastruktur und Wirtschaftshilfe (etwa nach dem Muster des Marshall-Plans für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg) gab es nur Geld für Militär, US-Söldnerkonzerne (Blackwater alias XE & Co), Waffen- und Ölindustrie. Die Folgen sind hinreichend bekannt. Statt Hoffnung und Aufbruchsstimmung nur Terror und größerer Hass auf den Westen als je zuvor.

Aber die Lage in Libyen ist anders. Das sollte eigentlich unübersehbar sein, und tatsächlich erkennt auch jede/r Beobachter/in den Umstand an, dass im arabischen Raum derzeit eine Revolutionswelle in Gange ist, die von der breiten Masse der jeweiligen Länder getragen wird. Dennoch kommt nun vor allem von linker Seite vielfach genau die selbe Musik, wie sie seit nunmehr zehn Jahren schon zum Irak- und Afghanistankrieg zu hören ist - ungeachtet der veränderten Tonlage, ein paar Beispiele (nicht alle linken Parteien und Gruppierungen lehnen eine militärische Intervention in Libyen ausdrücklich ab, in jedem Fall aber folgende):
- Linkswende: Nein zur militärischen Intervention in Libyen! Es leben die arabischen Revolutionen! (20.3.2011)
- KPÖ: KPÖ gegen Militärintervention in Libyen
- die Linke [Deutschland]: Bomben schaffen keinen Frieden. Kein Krieg in Libyen!

"Lieber keine Revolution als eine vom Westen unterstützte"

Genau jene Linken, die immer die Heuchlerei des Westens in Menschenrechts- und Demokratiefragen angeprangert haben, prangern nun den selben Westen an, dass er eine von der breiten Masse getragenen Demokratiebewegung in letzter Sekunde zu Hilfe eilt. Die Argumente für diese Position sind aber selbst an Heuchlerei nicht zu überbieten: Der Westen wolle nur an Libyens Öl, er wolle eine neue Besatzung eines arabischen Landes (Stichwort "Imperialismus", was sonst?) und außerdem habe der Westen ja gar keinen Plan für die Zeit nach Gadaffi (ach, plötzlich soll es wünschenswert sein, wenn die USA und Verbündete einen fertigen Plan für die Zukunft eines anderen Landes haben?). Als Beweis für die eigenen Überzeugungen wird herangezogen, dass die USA und die EU bisher nie ein Problem hatten, mit Gadaffi und anderen Diktatoren im arabischen Raum oder sonstwo Geschäfte zu machen und dass die ersten Reaktionen des Westens auf die Revolutionen eher zurückhaltend waren. Dies ist zwar richtig und liegt - natürlich - an den massiven wirtschaftlichen Interessen, die man durch Vergrämung der (diktatorischen) "Partner" nicht (zugunsten von Russland, China oder Indien, die mit den "alten" westlichen Mächten in der von ihnen bisher eher vernachlässigten Weltregion Afrika/Arabien in einem starken Wettbewerb um Ressourcen und Marktanteile stehen) aufgeben möchte. Und natürlich steht für den Westen der Einfluss in der Region am Spiel - vor allem seine Glaubwürdigkeit als demokratisches und menschenrechtliches "Vorbild" für die ganze Welt. Dass hier ausnahmsweise (und endlich) einmal ein gemeinsamer Nenner zwischen (pro-demokratischen) Revolutionären und dem weltpolitisch um Einfluss und Macht besorgten Westen vorhanden ist, ist zwar skurril und einzigartig (und offenbar zu viel für die Vorstellungskraft mancher), aber deswegen die Interessen beider (also Revolutionäre + Westen) abzulehnen, nach dem Motto: "besser keine Revolution als eine vom Westen unterstützte", übertrifft beinahe die bisherige Politik des Westens in der Region an Zynismus und Menschenverachtung.

Neue imperialistische Besetzungen im arabischen Raum?

Was die (linken) Kritiker übersehen, ist vor allem auch folgendes: Niemand, schon gar nicht die USA, haben Interesse, ein weiteres Land im arabischen Raum zu besetzen. Der "Image"-Schaden durch den Irak- und Afghanistankrieg, aber auch die Einsätze in Pakistan und anderen Teilen des arabischen Raums, ist schon nahezu irreparabel groß. Die USA stehen nahe dem Staatsbankrott, da diese Einsätze in den letzten Jahren tausende (!) Milliarden Dollar gekostet haben. Gleichzeitig sind während der Besatzungszeit tausende Soldaten gefallen - da sind selbst die Amis "not amused" - und (für die USA) noch "schlimmer": es lässt sich kaum mehr Nachwuchs rekrutieren, der freiwillig nach Afghanistan oder in den Irak geht: die täglichen Selbstmordanschläge haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Angst und Panikreaktionen lösen Massaker an der Zivilbevölkerung aus, wodurch sich wiederum neue Selbstmordattentäter rekrutieren lassen. Auch die Selbstmordrate unter US-Soldaten ist enorm hoch - und viele der Rückkehrer leiden an diversen Kriegstraumata. Das mag eine imperialistische Weltmacht zwar nicht viel kümmern - aber die Bevölkerung hat immer weniger Verständnis für die Notwendigkeit dieser Einsätze. Ein weiterer Einsatz von Bodentruppen würde Obama nicht - wie Bush damals unter einer ganz anderen Ausgangssituation, nämlich den islamistisch motivierten Anschlägen auf Staatsgebiet - nützen, sondern schaden, ja ihm vermutlich gar die derzeit noch intakten Chancen auf eine Wiederwahl zunichte machen.

Obamas zögern zum Einschreiten in Libyen (was ihm mittlerweile von einigen ebenfalls als Fehler ausgelegt wird) und sein Wille, die Kontrolle der Militäraktion an die NATO oder einen Bündnispartner abzugeben, zeigen vor allem eins: Obama will nicht wie sein Vorgänger in ein Wespennest stechen, will anti-westlichen Kräften möglichst wenig Angriffsfläche geben, denn dadurch könnte der ganze demokratische Wandel durch eine islamistische Anti-USA-Welle gefährdet werden (etwa, wenn US-Bodentruppen - unter welchen Umständen auch immer - arabische Zivilisten töten). Dass Obama dies vermeiden will, liegt auf der Hand. Umgekehrt könnte die Unterstützung der von einer breiten Masse getragenen pro-demokratischen Revolution einiges an Image-Schaden der USA und auch der beteiligten EU-Länder kompensieren. Und das ist dann wohl auch der Grund, warum der Westen trotzdem eingreift. Nicht wegen der Ölquellen (die mögen durchaus eine Rolle in den Hintergedanken spielen, sind aber wohl kaum Leitmotiv der Einsätze, da massiv kontraproduktiv), sondern um den Hass auf den Westen, der die Triebfeder des internationalen Terrorismus mit islamischen Hintergrund darstellt, zumindest ein bisschen einzudämmen.

Würde der Westen die arabischen Revolutionen links liegen lassen, trotz vielfacher Aufforderungen von in die Defensive geratenen libyschen Rebellen, würde dies den schlechten Ruf der USA als Feind aller Araber(innen) und Moslems auf lange Zeit einzementieren. Durch die Unterstützung hat Obama (aber auch die Ex-Kolonialmächte der Region, Großbritannien, Frankreich und Italien) die einmalige Gelegenheit in der Weltgeschichte, zertretenes Porzellan der vergangenen Jahrzehnte wirksam und authentisch zu kitten. Und zuguterletzt ist auch den wirtschaftlichen Interessen des Westens - deren Bedeutung ich gar nicht leugnen möchte - durch die Unterstützung des beginnenden demokratischen Wandels im arabischen Raum langfristig tausendmal besser gedient, als eine kurzsichtige Besetzung von Ölvorkommen, die zwar für einzelne Ölkonzerne durchaus rentabel sein mögen, aber aufgrund des erwartbaren massiven Widerstands einer Bevölkerung, die endgültig genug hat von Ausbeutung aller Art (seien es Kolonialmächte, Imperialisten oder "eigene" Dikatoren), volkswirtschaftlich für die USA & Co ein Desaster bedeuten würde. Unleistbar, ruinös - da helfen auch die besten Lobbyisten nichts!

Wieder mal totaler Krieg - wieder mal wegschauen?

Ohne die Dimensionen und die Motive des ausgeübten Unrechts vergleichen zu wollen, ist die Situation dennoch vergleichbar: Ein unbeirrbarer Psychopath mit Allmachtsanspruch, der lieber sterben würde, als freiwillig (oder erzwungenermaßen) aufzugeben oder ins Exil zu gehen, der - wenn "nötig" - auch Millionen Menschen mit sich in den Tod reißen würde, als auch nur einen letzten Funken Vernunft zu zeigen (wie bei Ben-Ali und in geringerem Ausmaß auch bei Mubarak immerhin der Fall), klammert sich an der Macht fest und versucht mit tabuloser Gewalt (seien es Luftangriffe auf unbewaffnete Demonstrationen, die die Mutation letzterer zu bewaffneten Rebellen überhaupt erst ausgelöst hat, oder seien es Massaker an Soldaten, die sich weigern, auf Landsleute zu schießen) einen aussichtslos scheinenden Konflikt doch noch zu gewinnen. Stay in power or die trying sozusagen.

Es wirkt also sehr merkwürdig, wenn Linke, die nicht mit der Wimper zucken, wenn es darum geht, sich mit dem "Aufstand" der Palästinenser (und überhaupt jeder "anti-imperialistischen Intifada" im arabischen Raum) zu solidarisieren und die "Schutzmächte" der pro-westlichen Diktaturen der Region anprangern, da diese nur wirtschaftliche Interessen auf Kosten der unterdrückten Bevölkerung verfolgen würden, nun genau den selben Westen dafür kritisieren, eine arabische Revolution zu unterstützen. Diese Tatsache für sich allein genommen mag man ja noch mit "Skepsis" und "Vorbehalt" erklären können, doch übersieht sie den allerwichtigsten Punkt, genau jenen Punkt, den die selben Linken immer als ihre Stärke für sich vereinnahmen, als Argument gegen und als Unterscheidungsmerkmal von Kapitalisten und Rechten: den Menschen! Jene Menschen, die seit Wochen ihre Angst über Bord geworfen haben und ihr Leben dafür geben (und bereits tausendfach auch geopfert haben), ein Terror-Regime zu stürzen um die Grundlagen für eine bessere Gesellschaft, ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Diese Menschen sollen nun sehenden Auges in den sicheren Tod geschickt werden, weil ein paar Linke nicht besonders handfest argumentierte Zweifel über die Motive der (ohnehin nur zögerlich, eingeschränkt und international gedeckt eingeschrittenen) Unterstützer haben?

Gandhis Weg und Pazifismus in Ehren - aber manchmal sollte man den Tatsachen ohne ideologische Scheuklappen ins Augen sehen, wenn man sich nicht "Hoch die internationale Solidarität" rufend in der Weltgeschichte verlaufen möchte.

Freitag, 4. März 2011

Good bye, Friesi! Ein Nachruf.

[August 2010] - [März 2011]














Am 7. April 2010 wurde das Doppelhaus Friesenbergstrasse 78/80 besetzt. Es war ein Glückstreffer. Nur wenige Tage zuvor waren die letzten Mieter des Hauses ausgezogen. Das Haus war alt, wurde in den 30er-Jahren gebaut. Aber es war in relativ gutem Zustand und nach wie vor bewohnbar. Türen und Fenster waren zwar alt, die Teppichböden nicht mehr ganz frisch (darunter befand sich Holzparkett), aber: es gab Strom und fließendes Wasser, die Badezimmer und Küchen waren zumeist intakt. Insgesamt 18 kleine 2-Zimmer-Wohnungen mit Bad-Küche-Vorraum. Also zogen die Leute ein. Rasch wurde auch der Keller einer squat-gerechten Nutzung zugänglich gemacht. Als hilfreich erwies sich dabei ein altes Schweizer Gesetz, das aus Gründen der Landesverteidigung nicht nur "Schutzräume" (Bunker) in Wohnhäusern vorsieht, sondern auch vorschreibt, dass die Holzlatten-Verkleidung der Kellerabteile relativ unkompliziert zu entfernen und als Bettgestell genutzt werden kann. Matratzen gab es ohnehin genug, ein ganzes Zimmer wurde damit vollgestopft (das Gästezimmer). Im Gästezimmer waren immer wieder Gäste aus dem In- und Ausland, darunter auch ich, zu Gast. Auch Obdachlose durften immer wieder im Gästezimmer übernachten, wobei man sich notgedrungen (das Matratzenlager sprach sich rasch herum) darauf einigte, jeden Obdachlosen maximal zwei Nächte übernachten zu lassen. Nicht zuletzt, da auch andere Gäste vorübergehend Unterschlupf finden sollten.















Bald konnte also im Keller eine Bar eröffnet werden, die "rikade bar" (bzw. "bar rikade") die - in Anknüpfung an die "Kalki" (2004-2010), deren "Inzest Bar" zum Treffpunkt der ganzen Szene wurde - jeden Mittwoch geöffnet hatte. Der Sonntag wurde zum Volxküchentag ernannt, an dem entweder Leute aus dem Haus oder Gäste das eine oder andere Dutzend Squatter bekochten.

Bis zum Sommer erhöhte sich die BewohnerInnenzahl auf etwa 15, 16 Personen, die sich in zwei Gruppen auf beide Gebäudehälften (je neun Wohnungen in insgesamt drei Etagen) aufteilten. Eine Siebdruck-Werkstatt wurde eingerichtet, samt wöchentlichem Workshop, an dem unter fachkundiger Anleitung gegen 20 CHF Aufwandsentschädigung (Siebe, Lösungsmittel, Farbe) T-Shirts, Flyer oder Plakate gedruckt werden konnten.

Der Umgang mit dem Eigentümer und den Kommunalbetrieben erwies sich als erstaunlich unkompliziert. Nachdem sich die Besetzung stadtweit herumgesprochen hatte, tauchten nach und nach Schornsteinfeger (Rauchfangkehrer ;)) auf, um den Kamin frei zu machen, Strom- und Wasserwerke kamen zum Zähler ablesen - bezahlt werden musste nie etwas. Der Besitzer trat nie in Kontakt mit den Besetzern. Verwaltet wurde die Liegenschaft von einem Immobilienunternehmen, das für die Besetzer nicht zu sprechen war. Auch gut.

Zweites Halbjahr
[in der Siebdruckwerkstatt]

Bis zum Winter erlebte das Friesi weiteren Zuzug. Per Ende Februar 2011 lebten schliesslich 24 Personen im Haus, womit das Friesi nach der Binz eindeutig der zweitgrößte bestehende Squat der Stadt war. Alle Zimmer waren somit vergeben, wobei von den 36 Zimmern auch einige für Gemeinschaftsräume abgezogen werden müssen: Das Erdgeschoss im ersten Gebäudeteil (3 Wohnungen à 2 Zimmer), waren als Volxküche/Aufenthaltsraum (mit Sofas und Beamer/Leinwand) sowie Siebdruckwerkstatt und Gästezimmer vorgesehen. Im zweiten Gebäudeteil gab es anstelle eines großen Gemeinschaftsbereiches eine eigene "Gemeinschaftswohnung", also zwei Wohnzimmer samt Bad und Küche. Aufgrund der Lage im hinteren Gebäudeteil, dem "Sitz" der zweiten Wohngruppe, sah es dort wesentlich gemütlicher und ordentlicher aus, als im "Durchgangsbahnhof" im vorderen Gebäudeteil.
[Bühnen-Deko]
Nach dem Sommer gelang es auch endlich, das Friesi Konzerttauglich zu machen: Dafür musste der Gang im Keller verlegt werden, die restlichen Kellerabteile wurden zerlegt und entfernt. Somit wurde endlich Platz für eine die Raumbreite ausfüllende Bühne samt Publikumsbereich (bis zur Bar/DJ-Tisch) frei - ein- und ausgehen konnte man nun auf der anderen Seite der Wand, wo Couches den bisherigen Chillout-Bereich neben der Bar, rund um den Tischfußball-Tisch, erweiterten. Außerdem konnte der Bereich mittels Paletten zu einer Tribüne für das Friesi Filmfestival umgebaut werden. In dieser Umbauphase wurde "sogar" ein Notausgang in eines der Garagentore eingebaut. Diese waren zwecks Lärmdämmung mit Matratzen und ähnlichem isoliert worden.

[Keller: Durchgang + Chillout nach Umbau]
Ein Veranstaltungshighlight des zweiten Halbjahres, kurz vor Ende der Friesi-Ära, war die "Queer Karaoke Madness" des Syndikats. Ein bunt gemischter, fröhlicher Haufen verkleidete und/oder schminkte sich auf der durch Vorhänge verdeckten Bühne, die zur Garderobe umfunktioniert wurde und sang Karaoke zu fürchterlich kitschigen, alten Pop-Schnulzen und -Hits. Also ganz so, wie es geplant war. Der Alkoholkonsum stieg ins Unermessliche, zu später Stunde war das Lager bei den meisten Getränken leer (das Friesi verfügt, als eines von wenigen Squats, über einen eigenen Getränkelieferanten zu Gastronomie-Preisen).

Friesi Filmfestival

Dieses fand am 19. Februar 2011 statt, von 20 Uhr bis 4 Uhr früh, gezeigt wurden auf zwei Leinwänden (Keller/Erdgeschoss) etwa 30 bis 40 Kurzfilme sowie (offenbar unzählige, von 100 bis 300 gehen die Angaben) "Ultra-Kurz-Filme". Viele davon wurden von ZHDK-Studierenden (Zürcher Hochschule der Künste) mitgebracht, von denen manche zum Bekanntenkreis einiger BesetzerInnen zählen. Mit zahlreichen Werken vertreten war etwa der ZHDK-Student Diego Hauenstein, dessen teils spielerische, teils experimentelle, teils nach etablierten Regeln hergestelle Kurz- und Ultrakurzfilme ein enorm breites Themen- Genre- und Handlungsspektrum abdecken (z.B. "Die Übergangslösung"). Mehrere Filme wurden sogar (teilweise) im Friesi gedreht. Auch internationale Produktionen waren zu sehen. Zu den Highlights zu zählen ist sicher der absurde Homemade Science-Fiction-Film "Schizoide Satelliten über St. Pauli" ("inspired by S. Kubrick/E.D. Wood Jr./F. Truffaut") von Roman Maeder, Katharina Peerdeman und David Russenberger.

Der Publikumszuspruch war äußerst zufriedenstellend. Beide (aus Holzpaletten) barrikadenartig (und teilweise mit Sofas ausgestatteten) aufgebauten Publikumstribünen dürften je etwa 20 bis 30 ZuseherInnen gefasst haben - und sollen laut Anwesenden die meiste Zeit voll besetzt gewesen sein (bzw. darüber hinaus). Endlich hat Zürich ein alternatives Filmfestival! Auf eine Fortsetzung in den nächsten Squats darf hoffentlich gehofft werden.

Frisiert

Eine weitere Neuerung des zweiten Halbjahres war/ist das Monatsprogrammheft "FRISIERT": reich bebildert und illustriert sowie äußerst informativ. Die erste Ausgabe erschien im November, vor wenigen Tagen erschien die März-Ausgabe, also Nr. 5. Das Cover ist ident mit jenem Plakat, dass auf die Friesi-Abschiedsparty am 4. März hinweist.

Eine Fortsetzung des Heftes auch in der Post-Friesi-Ära scheint wahrscheinlich, da das Heft szeneumfassend ausgelegt und nicht auf die Friesi beschränkt ist. Eine besondere Bedeutung kommt dem in einer Auflage von etwa 100 bis 150 Stück gedruckten Heft auch deswegen zu, da die Zürcher autonome und Squatter-Szene bis zum heutigen Tag extrem internetscheu, also so richtig "old school", ist. Obwohl über 20 Häuser in der Stadt besetzt sind, mehrere davon auch als Kultursquats gelten dürfen, findet sich nur wenig dazu im Internet. Eine bewusste Entscheidung freilich.

Das "FRISIERT" beinhaltet in der Heftmitte eine Monatsübersicht über unregelmäßige Veranstaltungen wie Konzerte, das Friesi Filmfestival, Diskussionsveranstaltungen und -cafés, Filmvorführungen, Soli-Partys und dergleichen aus dem Raum Zürich. Monatlich neu illustriert wird auch jene Doppelseite, die auf regelmäßige/wöchentliche Bars in Zürcher Squats hinweist. In der März-Ausgabe ist für jeden Wochentag eine Bar in einem anderen Haus angekündigt, wobei das Friesi ja im März eigentlich nicht mehr so oft Schauplatz einer Bar sein dürfte ...

Auch für regelmäßige Volxküchen gibt es eine eigene, kreativ gestaltete Doppelseite. Der Rest des Heftes sind sonstige Ankündigungen, Berichte, Satire, Karikaturen und ([nicht immer] politische) Comics. Einzigartig ist aber, dass jede Seite - sofern nicht ein "fremder" Beitrag - jeder Ausgabe komplett neu gestaltet wird. Die (eigenen) Texte werden auf Schreibmaschine getippt und dann auf die fertig illustrierten Seiten hineinkopiert. Sofern sie nicht komplett handgeschrieben sind. Oder so ähnlich. Jedenfalls voll retro und old school - und sehr schön und entsprechend begehrt.

Das Ende



Am 7. März 2011 wird mit den Abrissarbeiten begonnen. Erste Vorarbeiten am Gehsteig und im Garten waren bereits zu verzeichnen. Das Friesi wird durch einen "cocoon" genannten Yuppie-Neubau ersetzt.


Ausblick
Alles wird gut, dank der Friesi-Brut!
Da Hausbesetzer bekanntlich vom Himmel fallen, kann es keinen Ausblick geben. Der liebe Gott hats gegeben, der liebe Gott hats genommen. Oder waren es doch die Immobilienspekulanten und -verwerter?


Zitate

Zum Abschied noch ein paar Zitate - ohne Wertung - zum Friesi:
Wir kriegen ein Ultimatum gestellt und wissen, bis dann und dann müssen wir draussen sein. Im Gegenzug boykottieren wir den Auszug nicht, wie das in den achtziger Jahren der Fall war, wo es zu Zusammenstössen kam.

- Schweizer Volkspartei (SVP): Hausbesetzungen in Zürich Wiedikon
Mit der Hausbesetzerszene schwappt eine Welle linken Chaotentums in den den Kreis 3 über. [...] Mit einer Hausbesetzung einher geht immer auch eine Verslummung des Quartiers.
[...] Weiter kritisierte die SVP die polizeiliche Duldung von illegalen Hausbesetzungen. In solchen Liegenschaften bilde sich «eine gefährliche Brut»; einige der Demonstranten vom Freitag seien direkt aus dem besetzten Haus an der Friesenbergstrasse gekommen. Dem Stadtrat fehle der Wille, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er müsse illegale Demonstrationen im «Keim ersticken» und Teilnehmer sofort verhaften.
Links

Weiterführende Infos und sonstige Links:

- Profil auf radar.squat.net
- "Merkblatt Hausbesetzungen" der Kantonspolizei Zürich
 
blank info