Mittwoch, 25. Mai 2011

Gratiszeitung "Heute" als Diener des Neoliberalismus

Gratis- und Boulevardzeitungen wie - in Österreich - "Krone", "Heute" oder "Österreich" - nehmen gerne für sich in Anspruch, nahe am "Volkswillen" zu sitzen und unverblümt das zu schreiben, was sich angeblich "eh alle denken", aber in den "sogenannten" Qualitätsmedien aus welchen Gründen auch immer ("Großkopfertheit", "Abhängigkeit" von Politik, Wirtschaft oder irgendwelchen Ideologien etc.) unter den Tisch fällt. Mal abgesehen davon, dass die Boulevardblätter vor allem durch Inserate der Regierung und regierungsabhängiger bzw. -naher Unternehmen und Institutionen finanziert werden und viele sogenannte "Artikel" ungekennzeichnete bezahlte Einschaltungen von Großunternehmen sind, hinkt diese Selbstdarstellung des Boulevards (die von den orientierungslosen Regierungsparteien sogar widerspruchslos angenommen wird) der Realität besonders in der aktuellen Wirtschaftskrise deutlich nach.

"Heute" bejubelt totale Privatisierung griechischer Infrastruktur

"Schlussverkauf bei den Pleite-Griechen" lautet heute, 25.5.2011, die Jubelmeldung der Wiener Gratiszeitung "Heute" auf Seite 4. Das Blatt, das über ein treuhändisches Konstrukt verschleiert mehrheitlich im Eigentum der SPÖ, der Kronen Zeitung und einer österreichischen Bank steht, feiert die kürzlich angekündigte Privatisierungswelle in Griechenland: "Jetzt verscherbeln sie sogar das Meer" lautet der Untertitel zur Überschrift, und das ist gar nicht vorwurfsvoll, sondern spottend und zustimmend gemeint: "Jahrzehntelang wurschtelten die Griechen auf EU-Kosten vor sich hin." lautet sogleich die Rechtfertigung, die "Heute" diesem Vorgang beimisst. "Um das Defizit zu senken und damit weitere EU-Hilfe zu bekommen, sollen selbst Teile des Meeres verkauft werden - samt darunter liegendre Gasvorkommen."

Bevor näher auf den Wert dieser Meldung eingegangen wird, muss man wissen, dass der Großteil des griechischen Staatsdefizites nicht aus dem "laufenden Geschäft" stammt (also staatliche Einnahmen minus staatliche Ausgaben), sondern aus Zinszahlungen, die das Land für seine - in der Tat - hohen Staatsschulden leisten muss. Der Zinssatz dafür ist in den letzten drei Jahren von ein paar wenigen Prozent auf bis zu 15 bis 20 % geklettert. Der Grund dafür? Abstufungen der Kreditwürdigkeit durch Rating-Agenturen, die einen Teufelskreis auslösen: Der Staat benötigt jährlich mehr Geld, bloß um die Zinsen zu begleichen. Da die Zinsen stark gestiegen sind, muss das Land Kredite aufnehmen, um die Zinsen zu bezahlen. Da dies schwierig ist, steigen die Zinsen weiter. Die Folge: Das Land benötigt noch mehr Kredite, um die noch höheren Zinsen zu zahlen. Würde Österreich, das mit derzeit etwa 70 % Staatsverschuldung (inkl. ÖBB, ÖIAG und ASFINAG sogar über 80 %) auch nicht besonders weit von den "Pleite-Staaten" Griechenland, Irland, Island und Portugal entfernt liegt, ein ähnliches Schicksal (Abstufung durch Rating-Agenturen, etwa mit Verweis auf das "hohe Osteuropa-Risiko" und das geringe Eigenkapital der österreichischen Banken) erleiden und die Zinsen von 3 bis 4 % auf zB. 12 bis 15 % klettern, hätte das eine vervier- oder verfünffachung der jährlichen Zinszahlungen zu Folge. Das bedeutet, dass Österreich statt derzeit rund 8 Milliarden Euro, die jährlich als Zinsen an verschiedene Banken und andere Geldgeber bezahlt werden (ohne, dass dadurch die zugrunde liegende Schuldlast von etwa 170 Mrd. € sinken würde) plötzlich 32 bis 40 Mrd. Euro an Zinsen bezahlen müsste. Wo soll das Geld herkommen? Entweder durch Kredite von Banken (natürlich unter horrenden Zinssätzen wegen des hohen Ausfallsrisikos), von Staaten oder durch Einsparungen bei den Staatsausgaben, obwohl diese ja gar nicht der Grund für das - plötzlich - hohe Defizit von - in diesem hypothetischen Fall - 15 bis 20 % sind.

"Pleite-Ösis" statt "Pleite-Griechen"?

Was könnte oder sollte Österreich in diesem Fall tun? Wenn es nach den österreichischen Boulevardzeitungen geht, hat Österreich in diesem Fall "jahrzehntelang über seine Verhältnisse" gelebt. Als Beleg dafür könnte man auf das im internationalen Vergleich sehr niedrige durchschnittliche Pensionsalter verweisen, das mehr als 10 Jahre unter dem offiziellen Pensionsantrittsalter von 65-67 Jahren liegt. Weiters könnte man auf die Privilegien der Beamten (Zulagen!), ineffizientes Bildungs- und Gesundheitssystem (weltweit eines der teuersten, aber im internationalen Vergleich nur mittelmäßig), unnötige sündteure Anschaffungen aufgrund dubioser Abmachungen und tolerierter Korruption (Koralmtunnel, Eurofighter-Ankauf, Justiz-Tower etc.) usw. usw.

Würden "Heute", "Österreich" und "Krone" tatsächlich so über Österreich herfallen? Wohl kaum! Eher würden diese Boulevardblätter über die ungerechte Behandlung des Auslands (Stichwort: "böse EU", "böse Banken" usw.) herziehen, denn ausländische Boulevardblätter ("Bild", "Sun", "Blick") etc. würden keine Sekunde zögern, uns als "Pleite-Ösis" oder "Alpen-Griechen" darzustellen.

Nationalismus und patriotisches Halbstarkentum statt "Stimme des Volkes"

Aber da es ja nicht um Österreich, sondern Griechenland geht, überwiegt doch eher die Freude, auf jemand angeblich schwächeren einprügeln zu können, um sich selbst dadurch besser fühlen und in vermeintlicher Sicherheit wiegen zu können. So simpel ist die Logik des Boulevards. Das ist zwar kein Geheimnis und sicherlich keine neue Erkenntnis, aber genau so wie uns der Boulevard jeden Tag neue, aber doch immergleiche "Skandale", "Katastrophen" und "Bürgerkriege" (so der Boulevard über die Ausschreitungen beim Wiener Derby!) auftischt und von uns Empörung einfordert, muss auch dieser simple Sachverhalt ab und zu in aller Klarheit wiederholt werden.

Also da sitzen sie nun, die österreichischen Redakteure des Boulevards, in diesem Fall Wolfgang Bartosch, der offenbar in Euphorie verfällt, wenn er schreibt: "Runter mit dem Defizit, alles muss raus! Nach anfänglichem Zögern startet Griechenlands Regierung endlich die umfangreiche Privatisierungswelle. Weg müssen Anteile am auf 1,2 Milliarden geschätzten Telekomkonzern OTE. Ebenfalls verklopft werden Aktien des Wasserversorgers Athens Water (Marktwert 555 Millionen). Bis zu 535 Millionen könnte das Hafenpaket (Piräus, Thessaloniki), vier Milliarden das Wettunternehmen OPAP, bis zu 2,4 Milliarden der Energieversorger DEI bringen. Zudem veräußert Athen Erdgasvorkommen unter dem Meer vor Kavala, Autobahn-Mautrechte, Flughägen, den Gasversorger DEPA, ein Lastwagen- und ein Alu-Werk, Mobilfunkfrequenzen, ein Kasino, die Waffenindustrie sowie die Bahn."

Österreichische Wasser- und Energieversorgung als gewinnorientierte Privatunternehmen. Ja bitte?

Man stelle sich vor, Österreich müsste unter internationalem Druck die Wiener Wasserwerke privatisieren, die OMV (vollständig) verkaufen, Casinos Austria "verscherbeln", die Österreichischen Lotterien ans Ausland abtreten, die ASFINAG (samt Mauteinhebungs-Rechte) privatisieren, sowie sämtliche Donau-Häfen ... was würde "Krone", "Heute" und "Österreich" dazu sagen? Wir wissen es bereits, man betrachte bloß die Berichterstattung der letzten zehn Jahre (was zumindest bei der "Krone" möglich ist). "Unser Wasser" ans Ausland zu verkaufen wird praktisch als Todsünde betrachtet, "unsere" VOEST zu privatisieren war ebenfalls ein "Skandal sondergleichen", das "verscherbeln" von Energieversorgern wie "Energie AG" oder "Verbund" - undenkbar! Aber bei Griechenland? Keine Spur von Solidarität: Im Boulevard zählt nicht der Mensch und die Solidarität der Menschen untereinander, es zählt die Nation! Sollen doch die anderen Nationen untergehen, alles verkaufen, an ihrem Elend sprichwörtlich verrecken: wir stehen daneben und jubeln, und wehe, eine von uns käme auf die Idee, den Griechen zu helfen: bloß keinen Cent überweisen, ist sich der Boulevard mit der FPÖ einig. Aber - (der nicht existierende und daher bloß sprichwörtliche) Gott behüte - Österreich würde aus natürlich völlig undenkbaren Umständen in eine ähnliche Situation geraten und die internationale Presse aus bereits erläuterten Gründen nur Spott und Hohn für die "über den Verhältnissen lebenden Ösis" bereit haben, wie groß wäre wohl der Katzenjammer von genau den selben Herren (eher seltener: Damen) in den Leitartikeln der Boulevardmedien. Herr Bartosch, das traue ich mich wetten, würde als erster lautstark die große "Ungerechtigkeit" der internationalen Presse und des "Auslands" beklagen.

wir brauchen mehr Emotionen: wie wärs mit Spott, Hohn und Schadenfreude?

Aber soweit denkt im Boulevard niemand. Wozu denn auch? Es zählt die knackige Schlagzeile, "die Emotionen", oder genauer gesagt: die Schadenfreude!

Dass vielleicht irgendetwas falsch ist, an all den Vorgängen rund um Griechenland derzeit, auf diese Idee käme kein Dichand, kein Fellner und kein Ainetter. Und das, obwohl ironischer Weise direkt neben dem Artikel über die "Pleite-Griechen" zwei kurze Artikel Österreichs Lehrer beiläufig als "Privilegienkaiser" darstellen und Österreich als "zu korrupt" betiteln. Würde der Boulevard also eventuell doch eine totale Privatisierung der gesamten staatlichen Infrastruktur von Trinkwasser, Energie über Schiene, Autobahn und Rohstoffe verlangen?

Dauererpressungszustand: die Lüge des drohenden Bankencrashs

Kommen wir mal kurz zur Quintessenz des Ganzen, warum man eigentlich sofort aufschreien müsste (gerade der Boulevard!), dass dieses Total-Privatisierungsprogramm eigentlich keine Maßnahme zur Schuldentilgung ist, sondern ein Überfall unter vorgehaltener Schulden-Waffe ist. Die "totale Privatisierung" der griechischen Infrastruktur bringt insgesamt vielleicht 20, vielleicht 30 Milliarden ein. Was passiert damit? Werden damit die mehreren hundert Milliarden Staatsschulden reduziert? Wohl kaum. Selbst wenn, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Geld wird eher für die laufende Zinsleistung benötigt, die sich ja, wie bereits erwähnt, vervielfacht hat. Sogar die Qualitätszeitung "Der Standard" macht bei diesem Spiel mit. An und für sich erfahrene Wirtschaftsredakteure wie András Szigetvari kommen nicht auf die Idee, im Interview mit dem Direktor der Europäischen Zentralbank, Lorenzo Bini Smaghi, dieses pseudointelligente "Lösungs"-Prinzip zu hinterfragen: das staatliche "Eigenkapital" inklusive Reduzierung des "Umsatzes" und "Gewinnes" reduzieren, um EIN EINZIGES MAL einen KLEINEN TEIL der JÄHRLICHEN Zinsen zu bezahlen? Keine Bank der Welt, kein Unternehmer, ja nicht mal die Tochter einer Schottergrubendynastie würde als Finanzverantwortlicher so einem Vorgehen zustimmen. Wie soll das "Unternehmen Staat" denn weitergeführt werden, wenn die Kapitalbasis veräußert wurde und gleichzeitig ein "Maßnahmenbündel zur umfassenden und dauerhaften Einnahmensbeschneidung" umgesetzt wird? (die Begleitmaßnahmen sind ja bekanntlich Einsparungen bei Gehältern der Staatsbediensteten und im Sozialbereich, wodurch die Kaufkraft, der Konsum und ergo die Produktion und damit sämtliche Steuereinnahmen drastisch zurückgehen). Jeder auch nur über einen Funken Verstand besitzende Unternehmer würde bei derartigen Forderungen der Gläubiger sofort den Konkurs anmelden. Die Gläubiger müssen sich gefälligst mit einer Quote begnügen, auch die Finanzwirtschaft ist kein Selbstbedienungsladen der Banken. Warum spielen alle Staaten da mit? Entweder glauben sie die Lüge, dass der Ausfall willkürlich erfundener Fantasie-Forderungen die Banken ruinieren würde (die Fantasie-Summen würden abgeschrieben werden und die Bilanzsummen der Banken wären wieder auf dem Niveau vor dem Griechenland-Jackpot), was wiederum ein totales Versagen der gesamten europäischen Politik inklusive ihrer Berater bedeuten würden, deren Volkswirtschaftskenntnisse ausnahmslos (!) offenbar nichteinmal HAK-Matura-Niveau erreichen. Das wäre so dumm, dass es selbst bei größtem Pessimismus nicht vorstellbar wäre.

Wahrscheinlicher ist, dass alle entscheidenden Personen massivst von Lobbyisten und Medien bearbeitet werden, quasi windelweich geprügelt werden, dass sie aus Angst, in der Weltfinanzkrise ihre eigenen Staaten zu ruinieren, auch den dämlichsten und fantasievollsten Forderungen der Banken - die währenddessen ungeniert und eigentlich entlarvend Rekordgewinne verbuchen - zustimmen. Das wiederum würde bedeuten, dass die Politiker schlicht zu wenig Rückgrat und Mut besitzen (aber aufgrund der öffentlichen Meinung, die durch Massenboulevardblätter wie "Heute" konstruiert wird) und - wiedermal: ironischerweise - die Aussage des Bankers Andreas Treichl bestätigen, der den Politikern eben genau diesen fehlenden Mut bescheinigt. Ironisch deshalb, da er selbst aufgrund dieses fehlenden Mutes Rekordgewinne verbuchen darf und sich selbst und seinen obersten Managern und Aufsichtsräten die Gehälter und Boni-Zahlungen deutlich erhöht.

ich verkaufe mein Haus um die Zinsen zu bezahlen ... und dann wollen sie auch noch mein Auto, mit dem ich zur Arbeit fahre ... hä? It's the economy, stupid!

Zurück zum eigentlichen Sachverhalt: Die staatliche Infrastruktur wird also an Investoren verkauft, um die vom Finanzmarkt hochgetriebenen Zinsen an die Banken zu zahlen. Oder noch kürzer gesagt: das ganze Geld geht direkt als Gewinn in die Bilanzen der Banken, womöglich sogar noch unbesteuert. Solange die Banken und Investoren die Zinsen auf diesem hohen Niveau (10 bis 20 % oder sogar darüber) halten, können sie praktisch ALLES einfordern was sie wollen. Und der "Witz" an dem ganzen ist: selbst wenn sie alles kriegen, wird sich an der Höhe ihrer Forderungen nichts ändern. Erst wenn alles privatisiert ist, was privatisiert werden kann, werden sie vielleicht - aber nur vielleicht - Ruhe geben. Oder Griechenland meldet dann doch noch Konkurs an (immerhin entgehen dem Land durch die Privatisierung aller staatlichen Unternehmen ja auch deren Umsätze und Gewinne, während die Ausgaben kaum sinken - das Budgetdefizit wird durch die Privatisierungen also noch größer! Und nach einigen Jahren wird es doch wieder der Staat sein, der die bis dahin verfallenen Anlagen (wie man aus den USA und Großbritannien weiß, haben Privatunternehmen wenig Interesse daran, in die Instandhaltung von Strom- und Wasserleitungen oder Schienennetze zu investieren, das würde ja die Gewinne abschöpfen ...) zu reparieren hat (die Unternehmen werden nach zehn oder zwanzig Jahren wieder verstaatlicht, um die staatliche Grundversorgung zu gewährleisten: sprich: nachdem die Unternehmen 20 Jahre lang fette Gewinne abgeschöpft haben (da sie ja nicht in die Instandhaltung investieren), werden sie enteignet und der Staat hat 20 Jahre Investitionen nachzuholen. Fragt sich nur mit welchem Geld dann? Aber dann kann man ja das Spiel nochmals von vorne beginnen ...).

Und wieder mal die SPÖ: an vorderster Front dabei, die neoliberale Verblendung des Volkes zu gewährleisten

"Heute" bejubelt also, dass Griechenland seine Infrastruktur an die Banken verschenkt (nichts anderes ist es, wenn der Finanzmarkt zuerst die Zinsen auf ein unbezahlbares Niveau hochtreibt und im Gegenzug dafür alles kassiert, was der zahlungsunfähige Schuldner besitzt). Und die SPÖ finanziert mit ihren Inseraten die Existenz dieses Blattes. Das soll hier mal in aller Deutlichkeit festgehalten werden. Merken wir uns das einfach, falls wieder einmal behauptet wird, der Boulevard spreche doch nur das aus, was sich eine angebliche Mehrheit der Bevölkerung im Land "wünscht". In Wahrheit ist der Boulevard ein nationalistisches Machwerk, das bestenfalls als Totengräber von Aufklärung, sozialen Errungenschaften und Demokratie dienen kann. Dass so etwas durch Millionen-Inserate vor allem der SPÖ am Leben gehalten wird, obwohl es vor allem der FPÖ nützt, sagt auch einiges über den Zustand und Positionierung der SPÖ aus.

Immer nur nörgeln? Nein: So wäre es richtig:

Achja, und bevor ichs vergess: ich will ja natürlich nicht nur alles kritisieren und mir dann vorwerfen lassen, ich wüsste nicht, wie es besser ginge. Freilich weiß ich das ;)

"Heute" und alle anderen Boulevardblätter sollten Farbe bekennen, dass sie auf der Seite der Völker (bzw. Bevölkerung/Menschheit; lassen wir mal die in diesem Fall nebensächliche Begriffsdefinitionsdiskussion beiseite) sind und nicht auf der Seite der Finanzwirtschaft, die uns Enteignung von Volkseigentum als Lösung von Problemen, die durch eine schrankenlose Finanzwirtschaft herbeigeführt wurden, verkaufen und und uns somit verblenden wollen. Die Einschränkung der Finanzwirtschaft und Zurückgewinnung (bzw. erstmalige Erlangung) der vollen Souveränität der Völker (Bevölkerung) über ihre Schicksale, denen die Wirtschaft als Diener untergeordnet ist - und nicht umgekehrt! - sollte die Botschaft sein, die ein Boulevardblatt, das seiner selbsternannten Rolle als Sprachrohr des Volkes gerecht werden will, verbreiten sollte.

Dass dies nicht so ist zeigt nur, wie es um die tatsächliche Rolle der Boulevardmedien bestellt ist: sie sind nichts anderes, als ein verlängerter Arm der (Finanz-)Wirtschaftsinteressen und Verblender des Volkes im Interesse des Gewinnstrebens von Großkapitalisten. Dass sie sich dabei als Stimme des Volkes ausgeben ist Teil des Konzepts, um möglichst viele Menschen erreichen zu können.

Montag, 9. Mai 2011

8. Mai 2011 - Wien Nazifrei - Polizeiübergriffe am Schottentor

[zuletzt upgedatet: 11. Mai 2011; + Nachberichterstattung vom 26.7.2011 verlinkt]
Rund 1.700 Personen (Zählung nochrichten.net; laut Polizei 700) versammelten sich zur antifaschistischen Demo, die am Ring von der Universität Wien bis auf den Heldenplatz (durch ein einziges, das ganz rechte, geöffnete Burgtor) zog. Die Demonstration konnte nicht, wie geplant, unter großem Abstand von der Kranzniederlegung und den Heldenreden der Burschenschafter fern gehalten werden, sodass diese permanent von lautstarken Sprechchören und Pfeifkonzert gestört wurden. Im rechten Milieu wird davon gesprochen, dass es einen "Wink" der SPÖ an die Polizei gegeben habe, sodass diese die Demo näher "herangelassen" habe als ursprünglich "vereinbart".

Tumult am Heldenplatz - Polizei gibt nach

Gerüchteweise hätte von Teilen der Demo eine Sitzblockade (am Ring?) bzw. Blockade der Schließung des Burgtores initiiert werden sollen. Dergleichen geschah zwar nicht, jedoch zog ein Teil der DemonstrantInnen vor Einmarsch der Burschenschafter am Heldenplatz in jene von der Polizei aus Tretgittern eingerichtete Ecke direkt vor dem Burgtor, sodass diese möglicherweise am Schließen bzw. Freimachen des Eingangsbereichs hinter dem Burgtor gehindert wurden. Eine mehrreihige Kette aus Polizisten der Einsatzeinheit versuchte zwar die Menge aus der Ecke abzudrängen, beendete dieses Unterfangen jedoch nach ein, zwei Metern Raumgewinn binnen weniger Minuten wieder - ob wegen des ausgebrochenen Tumults und Ansätzen von Massenpanik im dichten Gedränge zur Ecke hin (was aufgrund der zahlreich vertretenen Medien im schlimmsten Fall - auch international - ein sehr schlechtes Licht auf die Exekutive bzw. den Umgang der Republik Österreich mit einem derart symbolträchtigen Datum geworfen hätte) oder weil gar kein größerer "Raumgewinn" von der Polizei angestrebt wurde kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Es flogen vereinzelt Gegenstände Richtung Burschenschafter-Versammlung (erreichten diese aber, bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht, nicht), insgesamt wurden vielleicht drei oder vier laute Knallkörper in den "Sicherheitsbereich" zwischen den beiden Versammlungen geworfen. Ansonsten machte die antifaschistische Demo nur mit durchgehenden Sprechchören auf sich aufmerksam, teilweise so laut und deutlich, dass sie auch auf dem derstandardat-Video von den Reden am "Heldengedenken" verständlich wahrnehmbar waren.

Ring-Ausgänge geschlossen

Gegen Ende des "Heldengedenkens" machten sich erste Teilnehmer der antifaschistischen Demonstration Richtung Ausgänge auf, von denen jedoch alle bis auf jenen Richtung Michaelerplatz geschlossen waren. Zahlreiche Personen, die bei der Nationalbibliothek den Heldenplatz zum Ring hin verlassen wollten (etwa, um mit Straßen- oder U-Bahn nach Hause zu fahren) wurden zum Michaelerplatz verwiesen, lautstarke Diskussionen und gegenseitiges (!) Beschimpfen waren die Folge. Nach wenigen Minuten forderte die etwa 10 Personen starke "Gitterwache" (davon zwei Beamtinnen "eingesperrt" um die Gitteröffnung von innen zu sichern) Verstärkung an, woraufhin erstmals TeilnehmerInnen der Demonstration eingeschüchtert wurden, als die ca. 10 Mann/Frau starke Verstärkung das Gitter öffnete und auf dahinter versammelte Teilnehmer los rannte / diese verscheuchte. Denn wer stehen bleibt, riskiert umgeschubst zu werden, was schließlich nicht nur Verletzungen sondern auch noch eine teure Anzeige zur Folge haben könnte (= "Widerstand gegen die Staatsgewalt"). Ein derart doppelt ungerechtes Vorgehen soll auch jene, die am vehementesten auf ihre Bürger- und Menschenrechte pochen (Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, Recht auf Meinungsäußerung aber auch Dokumentation mit Kamera und Video, also Medienfreiheit), dauerhaft abschrecken.

Eskalation am Schottentor

In der Folge versuchten viele, rasch den Ausgang Michaelerplatz zu erreichen um den auf einer parallel zwischen Ring und Herrengasse verlaufenden Rückmarsch der Burschenschafter an den Absperrungen der Seitenstraßen durch Parolen und Pfiffe zu stören. Nach 10 bis 15 Minuten folgten bereits ein paar Dutzend den Burschenschaftern bis zur Schottengasse/Ecke Mölker Bastei. Einige weitere liefen am Ring um die Ecke um die mit Fackeln auf der Anhöhe der Mölker Bastei versammelten Burschenschafter von dort aus zu beschreien. Wenige Minuten später waren somit etwa 150 DemonstrantInnen am Ring versammelt, weitere 100 bis 200, vielleicht auch mehr, in der Schottengasse/Mölker Bastei. Zahlreiche Burschenschafter besuchten daraufhin das an der Schottengasse liegende Restaurant Leupold, etwa 150 bis 200 demonstrierten in Sprechchören davor.

Die Hundertschaften der Polizei wirkten in dieser Zeit etwas verwirrt, fuhren immer wieder in Schleifen über den Ring, Schottentor, Schottengasse, Herrengasse, ohne irgendein erkennbares Ziel - außer vielleicht Verwirrung - damit zu verfolgen. Die lautstarken, aber friedlichen Kundgebungen rund um die Mölker Bastei gaben keinen Grund zum Einschreiten, abgesehen davon, dass diese "Nachdemos" natürlich nicht angemeldet waren, was nach vorherrschender Meinung unter den Beamt/innen der Wiener Polizei illegal und - je nachdem wie viele DemonstrantInnen ihnen gegenüber stehen - möglichst umgehend geräumt werden müsste.

Dieser Zeitpunkt, an dem die Polizei numerische Überlegenheit erreichte, dürfte gegen 22 Uhr erreicht worden sein, als nur noch etwa 100 bis 150 rund um die Mölker Bastei verteilt versammelt werden und die Sprechchöre leiser und seltener wurden. Zu den bereits dutzenden Mannschafts-Kleinbussen der Polizei gesellte sich ein weiteres Dutzend dazu, die Auflösung der Versammlung wurde durchgesagt, woraufhin sich der Großteil der Leute rasch Richtung Schottentor zurückzog, im Bewusstsein des massiven Polizeiaufgebotes, das rasch Position einnahm. Rasch war die gesamte Schottengasse zum Ring hin von einer Polizeikette abgesperrt, ein paar Dutzend Personen standen am Gehsteig/Haltestellenbereich auf der rechten Ring-Fahrbahnseite, direkt vor der Polizeikette.

Polizeiübergriffe ab 22:15 Uhr

Zwischen 22 und 22:15 Uhr (laut Indymedia-Liveticker um 22:14 Uhr) begann die Polizei auch gegen die restlichen verbliebenen Leute, die außerhalb der Polizeiabsperrung im Haltestellen- und Gehsteigbereich am Schottentor dem Treiben der Polizei (die in der Schottengasse mehrere Personen, die möglicherweise zu langsam weggingen, eingeschlossen hatte) zusahen, offensiv vorzugehen.

Eingeschlossen zwischen Polizeikette und Ring-Fahrbahn (der Verkehr floss bereits wieder) konnten diese Personen nicht ausweichen, als eine Gruppe Polizisten die Leute wegzuschubsen begann, und jene, die wegliefen, mit schnellem Schritt verfolgten. Wer dabei zu Sturz kam wurde fixiert und mit Handschellen abgeführt. Mehrere FahrradfahrerInnen wurden bei dieser plötzlichen und unangekündigten Aktion der Polizei äußerst unsanft vom bzw. über das Fahrrad gestoßen und ebenfalls (vorübergehend) festgenommen. Es gab weder zuvor noch nach diesem Einsatz der Polizei irgendeine Gewaltanwendung seitens der DemonstrantInnen, die sich ja zuvor widerstandslos bis zum Schottentor/Lueger-Ring zurückdrängen ließen.

Im Anschluss wurde auch die Hundestaffel beigezogen, die kurz darauf auf die andere Straßenseite des Rings stürmte, um jene Leute zu vertreiben, die sich dorthin zurückgezogen hatten und gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei skandierten. Dabei befanden sich auch mehrere Gruppen von Touristen und Passanten an der Haltestelle, die nicht wussten, wie ihnen geschah. Es folgten weitere Aktionen dieser Art, um die immer wieder an der Haltestelle versammelten letzten Reste der (ehemaligen) KundgebungsteilnehmerInnen zu verscheuchen. Bei einer dieser "über-den-Ring-Stürmen"-Aktionen wurden einige Personen festgehalten und ihre Personalien aufgenommen. Möglicherweise werden auch diese angezeigt? Fragt sich nur, nach welchem Paragraf?

Ein WienTV-Bericht (siehe Link-Sammlung unten) zeigt die Szenen vor der Eskalation und lässt danach Zeugen zu Wort kommen. Die Eskalation selbst wurde aufgrund der Annahme, die Kundgebung klinge nun langsam ab, verpasst. Ein Amateurvideo zeigt jedoch das aggressive Vorgehen der Polizei und die Verhaftungen unschuldiger DemonstrantInnen: ein Typ mit Fahrrad wird von Polizisten gepackt und weggezerrt, das Bild ist rucklig, Leute laufen hin- und her, aber man sieht doch, wie der Typ plötzlich mit dem Rücken am Boden liegt und Polizisten hinlaufen (sie hatten ihn vorher schon zu viert oder fünft am Körper gepackt, plötzlich liegt er 3 Meter weiter mit dem Rücken auf dem Boden, was ist wohl passiert?), zwei oder drei Polizisten tragen sein Fahrrad und schmeißen (!) es plötzlich auf den am Boden liegenden drauf (das ist jene Stelle, wo alle laut aufschreien), mindestens einer der neben/hinter ihm stehenden Polizisten tritt dann auch noch mehrmals auf ihn ein.

Nachtrag, 10.5.:
In einem Kommentar auf Facebook [Details dem Verfasser bekannt / belegbar] schildert ein Anwesender, wie er die Gewalteskalation der Polizei erlebt hat (Auszug, Originalschreibweise):

[...] in den Gesichtern der Poliziesten hat man direkt die Freude beim verwenden der Schlagstöcke und Treten auf Kopf und Oberkörper der demonstranten im Gesicht gesehen. Das ganze war aber min. 50m von diesem Lokal [Restaurant Leupold, Anm.] entfernt und sie haben leute die nie in der nähe des lokals waren wurde auch völlig grundlos zu boden geworfen und mit triten u knüppel weiter bearbeitet. ein bekannter kam mit in den Tumult obwohl er min. 50m meter vom lokal weg war und auch nicht einmal dort war, versuchten sie ihn trotzem niederzureißen, als das nicht geling, bekam 2-3 sehr feste schläge mit den stöcken auf die hand!!!
er hat natürlich die dienstnummer verlangt, darauf bekam er die antwort:" dienstnr ham wir heut kane, mußt zum einsetztleiter!" wo man diesen findet, kam:" des der mit´n vün gold, frag wem andern und jetzt kannst di schl..., a entfernen!" als antwort. er hat gezälhte 15 andere beamte gefragt und ca 90% sagten, "is ma wurscht, i kenn kan einsatzleiter, da mußt ume geh zum lokal" dass aber der ausgangs punkt der prügel aktion der polizei war. wahrschlich, damit gleich wieder ein paar leute nieder prügeln können. im Endeffekt bekam ausser großteils eigentlich beleutigungen keine einzige vernünftige antwort, so wie man im bericht sieht, z.b.: die adresse!! nach 13 beleutigungen und 2 völlig sinnlose antworten haben die freunde und helfer nicht geholfen! [...]
Videos zur Eskalation am Schottentor:
1) Amateurvideo auf Youtube: Eskalation bei Demo 8.Mai 2011 (Schottentor ca 22:00) (Polizisten überfallen Radfahrer)
2) WienTV: Eskalation (zur Eskalation durch die Polizei am Schottentor ab ca. 22 Uhr, ohne Bilder der Eskalation selbst)
3) Joyfilm99: Demo Wien 8. Mai (Bilder der Demo(s) inkl. Schottentor, ohne Eskalation selbst)

Nachtrag 11.5.:
Ein anonymes Posting auf Indymedia berichtet (unabhängig von den Polizeiübergriffen am Schottentor) von einem anderen Vorfall nach der offiziellen Demonstration, das hier der Vollständigkeit halber zitiert werden soll:
Einer Gruppe von vielleicht 40-50 Antifaschist_innen gelang es am Weg zurück zur Uni durch Hinterhöfe und ein Restaurant zum Sammelpunkt der sicher über 150 Rechtsextremen vorzudringen. Dabei ist es beinahe zu einer Konfrontation gekommen, lediglich ein einzelner Polizist versuchte die beiden Gruppen zu trennen. Als sich allerdings einige rechtsextreme Schläger aufbauten und die Antifas zum Kampf aufforderten, drehten diese klugerweise um. Außerdem kamen offensichtlich ziemlich gestresste Riot-Cops angerannt, die nicht wussten, ob sie Antifas festhalten oder vertreiben sollten. Ein Einsatzleiter schimpfe die Antifas noch "Satz es deppat, es satz in da Sperrzone!"
Links zur antifaschistischen Demo zum 8. Mai (Tag der Befreiung) gegen das "Toten-" bzw. "Heldengedenken" der deutschnationalen Burschenschaften des Wiener Korportationsringes (WKR) und FPÖ-Politikern am Wiener Heldenplatz.

Berichte (Auswahl):
- Indymedia: verschiedene Artikel zum 8. Mai - kein Tag der Trauer, Tag der Befreiung!
- nochrichten.net: Gestörtes Nazigedenken – Erstmals am 8. Mai nicht nur Deutschnationale auf Heldenplatz – Mehrere Antifaschist_innen beim Schottentor festgenommen.
- fm4.orf.at: 8. Mai: Trauer- oder Feiertag?
- derstandard.at: Rechtes "Totengedenken" ohne Strache
- derstandard.at (26.7.): "Totengedenken" am 8. Mai Burschenschafter als "öffentliche Belustigung"

Videoberichte Mass Media:
- ZIB 20: Spannungen am Heldenplatz - ZIB 20 Uhr - 8.5.2011
- derStandard.at-Nahaufnahme: Das "Totengedenken" der Burschenschafter am 8. Mai 2011. (Video links oben; Burschenschafter-Reden und Gedenkveranstaltung am Heldenplatz)
- derstandardattube: Burschenschafter

Videoberichte Social Media:
- Beitrag in WienTV-Nachrichten vom 10. Mai
- ichmachpolitik.at: Video vom "Totengedenken" am Heldenplatz samt Gegendemonstrationen, inkl. "Interview" mit David Ellensohn und Michael Genner (Asyl in Not) - 8.5.2011
- AUGEIUG: 8. Mai: NAZIFREI!! 8.5.2011 (Über die Gegen-(Antifa-)Demo, bis Heldenplatz)
- sonstige Youtube-Videos: Antifa-Demo 8.Mai 2011 - Wien, Nazis am Burgtor, 8.Mai 2011

Audio:
- cba.fro.at: Deutschnationale Heldenehrung am 8. Mai 2011 erstmals ernsthaft gestört – Tausende bei Befreiungsfeier und antifaschistischer Kundgebung am Heldenplatz.
- Die gesamte Burschenschafter-Rede als Audio-File

Fotos:
- Martin Juen: 8. Mai - Tag der Brefreiung "Totengedenken" d. Wiener Burschenschaften
- Indymedia: [Photos] Demo 8. Mai - Tag der Befreiung
- Indymedia: [Photos] Feier am Schwarzenbergplatz
- Indymedia: [Photos] Absperrungen am Heldenplatz

Montag, 2. Mai 2011

Demonstration gegen Staat und Justiz - die Exekutive war auch da

Freispruch für alle in allen Anklagepunkten! So endete heute der Prozess gegen die TierrechtsaktivistInnen in Wiener Neustadt. Für den Tag der Urteilsverkündung, den 2. Mai, wurde daher via Flyer seit einigen Tagen unter dem Motto „Nach dem Prozess ist vor dem Prozess!“ zur „Demonstration gegen Staat und Justiz“ aufgerufen. Dadurch sollte zum einen darauf hingewiesen, werden dass dieser medial viel beachtete Prozess nicht der einzige ist und § 278a nach wie vor dazu eingesetzt wird, organisierte Proteste zu kriminalisieren (vgl. Verfahren gegen Akademie-Studierende, denen das filmen einer Abschiebung als „Vorbereitung einer strafbaren Handlung“ angelastet wird), zum anderen sollte gezeigt werden, dass sich durch diese Repression niemand einschüchtern lässt.

Im Flyer-Text heißt es: „Jahrelange Bespitzelungen, Überwachungen, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, über 3 Monate Untersuchungshaft und nun nach über einem Jahr der plötzliche Versuch gegen die 13 Tierrechtsaktivist_innen so schnell wie möglich ein Urteil zu sprechen. […] Repression ist auch kein Einzelfall, sondern ein Teil des System[s], ein Versuch 'unliebsame, kritische Stimmen' Mundto[t] zu machen, weg zu sperren und kann jede und jeden treffen!“


"Nach dem Prozess ist vor dem Prozess" - "Wir sind alle 278 a!"

Wie zum Beweis versammelte sich heute gegen 19 Uhr die Polizei gegenüber der Universität Wien, um besagte Demonstration zu unterbinden. Was der Großteil der Versammelten vermutlich nicht wusste (und was eigentlich, zumindest bei einer Demonstration zu einem anderen Anlass, unerheblich sein sollte): am selben Abend wurde – wie heute in Zeitungen zu lesen war – der türkische Staatspräsident Abdullah Gül anlässlich eines dreitägigen Staatsbesuchs von Bundespräsident Heinz Fischer feierlich empfangen. Dementsprechend hoch war die dafür vorgesehene Polizeipräsenz im Bereich um die Hofburg, ein Polizeihelikopter kreiste über die Wiener Innenstadt.

Gegen 19:30 waren etwa 150 bis 200 Protestierende anwesend, als via Megaphon vorgeschlagen wurde, via Landesgericht zum PAZ Hernalser Gürtel zu demonstrieren. Als die Menge über den Gehsteig Richtung Universitätsstraße loszog, rannte sogleich ein Zug PolizistInnen über den Ring um sich an die Demo anzuheften. In der Folge versuchten sie die Menge davon abzuhalten, von den Straßenbahngleisen auf die Universitätsstraße zu wechseln. Doch ab der ersten Kreuzung „sicherten“ Polizeimotorräder und -fahrzeuge die umliegenden Kreuzungen, der Demonstrationszug durfte die gesamte Fahrbahnseite beanspruchen. Vor, neben und hinter der Demo marschierte ein Teil der BeamtInnen her, zahlreiche weitere fuhren in VW-Bussen neben und hinter der Demo.


Nach dem Kessel ist vor dem Kessel
Als der Demonstrationszug auf der rechten Seite vollständig durch den Universitätscampus eingegrenzt wurde, fuhr das Lautsprecherfahrzeug der Polizei vor und spielte das (schlecht verständliche) Band zur Auflösung einer Versammlung ab – man habe sich sofort zu zerstreuen (was zu diesem Zeitpunkt, umringelt von Polizeieinheiten und Campus, nicht möglich war). Laut Indymedia-Protokoll war dies kurz vor 20 Uhr. In den nächsten 5 Minuten wurden die ca. 150 Personen durch den mittleren Eingang in den Campus hineingedrängt. Ein Teil davon zerstreute sich in verschiedene Richtungen, der andere Teil zog geschlossen über den Eckeingang des Campus zurück auf die Universitätsstraße. Um 20:06 hieß es dazu auf Indymedia: „Demo bewegt sich wieder zurück Richtung Landesgerichtsstraße, Aktivist_innen gehen teilweise am Gehsteig und auf der Straße, Polizeiwägen sind mitten drinnen“. PolizistInnen liefen die Alser Straße hinunter und versuchten die Menschen auf den Gehsteig zurückzudrängen, zogen zu diesem Zweck auch an den Transparenten und schubsten die eine oder den anderen. Die Menge wurde nun Richtung Landesgerichtsstraße/Garnisongasse abgedrängt, zerstreute Teile kehrten zur Demo zurück.

Als die Spitze der Demo in die Garnisongasse einbog, schnitten ihnen mehrere VW-Busse über die Garelli- und die Frankgasse den Weg ab. Die Spitze wurde vom Rest der Menge, die aus der Garnisongasse zurückwich, abgetrennt. Es kam zu kleineren Gerangeln und Schubsern durch die Polizei, ein weiterer Zug PolizistInnen wurde als Verstärkung angefordert und zog eine zweite Linie hinter dem Kessel, um die „Amtshandlungen“ abzuschirmen. Etwa 30 bis 40 Personen befanden sich nun innerhalb der Polizeisperre, die von niemandem betreten werden durfte, weitere 60 bis 70 außerhalb, dazu einige aufmerksam gewordene PassantInnen, die sich über den Grund des massiven Vorgehens der Polizei wunderten.

Wenns scho do san, soins a wos hackln!

Und warum eigentlich das Ganze? Als mittlerweile gelernter Wiener und regelmäßiger Demo-Beobachter liegt die Ursache tatsächlich „auf der Hand“, wie einer der Polizisten in einem Gespräch mit außen stehenden Personen andeutete. Zunächst ging es um die Frage, ob eine Demonstration, die nicht mindestens 24 Stunden zuvor angemeldet wurde, „illegal“ sei, oder ob das Verfassungsrecht auf Versammlungsfreiheit nicht überwiege (vgl. auch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30.11.1995: "Auch sogenannte Spontanversammlungen [...] sind als Versammlungen iS des VersammlungsG zu qualifizieren [...] Die Mißachtung der Anzeigepflicht allein rechtfertigt die Auflösung einer Versammlung noch nicht.").

. Laut den anwesenden PolizistInnen steht das außer Frage: „Selbstverständlich“ ist eine unangemeldete Demo illegal und zur Herstellung der „öffentlichen Ordnung“ aufzulösen. Aber dies geschehe nur deswegen nicht jedes Mal, da es nicht immer genügend PolizistInnen gibt, um eine spontane Demo aufzulösen. Da müsse man eben „Kompromisse eingehen“. Dass dies nach Ansicht der außen stehenden Personen dem auf Verfassungsrang stehenden Versammlungsgesetz widerspreche, zumal es auf der Demonstration keinerlei Zwischenfälle gegeben habe oder absehbar wären, wurde von den anwesenden PolizistInnen nur mit einem herzhaften Auflachen kommentiert. „Studiern's erst amol fertig!“, meinte einer der Beamten zu einem JUS-Studenten.

Ein anderer Beamter fragte, ob wir denn nicht gewusst hätten, dass heute Staatsbesuch ist und deswegen auch der Hubschrauber kreise. Auf Nachfrage, was das denn mit dieser Demonstration zu tun haben solle, hieß es, „ihr wisst's ja eh, wie des is“. Bei so hohen Anlässen sei man eben sehr sensibel, und sie selbst, also die Hundertschaft an PolizistInnen vor Ort, seien heute nur für den Staatsbesuch eingesetzt. „Wäre heute also kein Staatsbesuch gewesen, wäre die Demo auch nicht aufgelöst worden?“ - „Najo“ [aufsteigende Betonung auf dem „o“] lautete kopfnickend die Reaktion des Beamten.

Dies würde eine Erfahrung bestätigen, die immer wieder gemacht werden kann, zuletzt im Vorfeld der diesjährigen noWKR-Demonstration in Wien. Neun Tage davor, am 19. Jänner 2011, wurde eine spontane Demonstration gegen die Abschiebung einer Frau, die sich als Opfer von Menschenhändlern der Wiener Polizei gestellt und ausgesagt hat, ebenfalls eingekesselt. Die in einem Großaufgebot präsente Polizei setzte 14 (!) VW-Busse, acht Funkstreifen und einen Gefangenentransportwagen zur glorreichen Einkesselung und Besiegung von etwa 50 Personen ein. Diese wurden daraufhin wegen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung angezeigt, da eine Auflösung der Versammlung damals nicht durchgesagt wurde. Auch damals wurde ein Zusammenhang mit dem Ball des rechtsextremen Wiener Korporationsring vermutet und von einem Beamten bestätigt.

Wiener Kesselhüpfen #3/2011

Das dritte Wiener Kesselhüpfen in diesem Jahr - nach einem intensiven Jänner mit Kesselungen am 19.1. und 28.1. - fand also nach über dreimonatiger Pause wieder relativ überraschend statt. Notwendigkeit gab es auch dieses Mal keine, aber das ist fester Bestandteil der Veranstaltungsreihe und sorgt für den gewissen Überraschungsmoment. Etwas, was an keiner guten Demo fehlen sollte. Im Vergleich zu den anderen beiden Kesseln dieses Jahr ging es dieses Mal schon relativ routiniert zu, man merkt den TeilnehmerInnen auf beiden Seiten die zunehmende Erfahrung an. Auch auf das Abspielen des Tonbands zur Versammlungsauflösung wurde dieses Mal nicht vergessen, ganz im Gegenteil: bis ins kleinste Detail durchorchestriert fuhr das Lautsprech-o-mobil just in jenem Moment an der Demo vor, als diese am mittleren Campus-Eingang umzingelt wurde. An den Lyrics ließe sich aber noch arbeiten, auch das Soundsystem auf dem Dach des Polizeifahrzeuges fiel mit geschätzten 2 Watt deutlich geringer aus als jenes der Demonstrierenden am Anhänger eines Fahrrads.

Dennoch lässt sich bereits ein gewisser Trend ablesen: Großveranstaltungen, Staatsanlässe oder bevorstehende Polizeigroßeinsätze (wie etwa die Massenmobilisierung zum 28.1., wo Teams aus unterschiedlichen Bundesländern zusammenarbeiten und eingerostete Bereitschaftspolizisten aufgewärmt werden mussten) befördern die Wahrscheinlichkeit einer Kesselung, während verfassungs- und strafrechtlichen Grundlagen nur nachrangig Bedeutung zukommt. Eine Nicht-Anmeldung einer Versammlung kommt also laut gegenwärtiger Praxis der Wiener Polizei einem Verbot gleich.

Links

- nochrichten.net: § 278a: Freispruch für Tierrechtsaktivist_innen. Polizeikessel für Antirepressionsdemonstrant_innen.

- Indymedia: Nach dem Prozess ist vor dem Prozess: Bericht und Fotos vom Kessel in der Garnisonsgasse

Fotos:
-Rosa Antifa Wien: Eindrücke aus Wiener Neustadt [und Wien]

 
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