Montag, 9. Mai 2011

8. Mai 2011 - Wien Nazifrei - Polizeiübergriffe am Schottentor

[zuletzt upgedatet: 11. Mai 2011; + Nachberichterstattung vom 26.7.2011 verlinkt]
Rund 1.700 Personen (Zählung nochrichten.net; laut Polizei 700) versammelten sich zur antifaschistischen Demo, die am Ring von der Universität Wien bis auf den Heldenplatz (durch ein einziges, das ganz rechte, geöffnete Burgtor) zog. Die Demonstration konnte nicht, wie geplant, unter großem Abstand von der Kranzniederlegung und den Heldenreden der Burschenschafter fern gehalten werden, sodass diese permanent von lautstarken Sprechchören und Pfeifkonzert gestört wurden. Im rechten Milieu wird davon gesprochen, dass es einen "Wink" der SPÖ an die Polizei gegeben habe, sodass diese die Demo näher "herangelassen" habe als ursprünglich "vereinbart".

Tumult am Heldenplatz - Polizei gibt nach

Gerüchteweise hätte von Teilen der Demo eine Sitzblockade (am Ring?) bzw. Blockade der Schließung des Burgtores initiiert werden sollen. Dergleichen geschah zwar nicht, jedoch zog ein Teil der DemonstrantInnen vor Einmarsch der Burschenschafter am Heldenplatz in jene von der Polizei aus Tretgittern eingerichtete Ecke direkt vor dem Burgtor, sodass diese möglicherweise am Schließen bzw. Freimachen des Eingangsbereichs hinter dem Burgtor gehindert wurden. Eine mehrreihige Kette aus Polizisten der Einsatzeinheit versuchte zwar die Menge aus der Ecke abzudrängen, beendete dieses Unterfangen jedoch nach ein, zwei Metern Raumgewinn binnen weniger Minuten wieder - ob wegen des ausgebrochenen Tumults und Ansätzen von Massenpanik im dichten Gedränge zur Ecke hin (was aufgrund der zahlreich vertretenen Medien im schlimmsten Fall - auch international - ein sehr schlechtes Licht auf die Exekutive bzw. den Umgang der Republik Österreich mit einem derart symbolträchtigen Datum geworfen hätte) oder weil gar kein größerer "Raumgewinn" von der Polizei angestrebt wurde kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Es flogen vereinzelt Gegenstände Richtung Burschenschafter-Versammlung (erreichten diese aber, bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht, nicht), insgesamt wurden vielleicht drei oder vier laute Knallkörper in den "Sicherheitsbereich" zwischen den beiden Versammlungen geworfen. Ansonsten machte die antifaschistische Demo nur mit durchgehenden Sprechchören auf sich aufmerksam, teilweise so laut und deutlich, dass sie auch auf dem derstandardat-Video von den Reden am "Heldengedenken" verständlich wahrnehmbar waren.

Ring-Ausgänge geschlossen

Gegen Ende des "Heldengedenkens" machten sich erste Teilnehmer der antifaschistischen Demonstration Richtung Ausgänge auf, von denen jedoch alle bis auf jenen Richtung Michaelerplatz geschlossen waren. Zahlreiche Personen, die bei der Nationalbibliothek den Heldenplatz zum Ring hin verlassen wollten (etwa, um mit Straßen- oder U-Bahn nach Hause zu fahren) wurden zum Michaelerplatz verwiesen, lautstarke Diskussionen und gegenseitiges (!) Beschimpfen waren die Folge. Nach wenigen Minuten forderte die etwa 10 Personen starke "Gitterwache" (davon zwei Beamtinnen "eingesperrt" um die Gitteröffnung von innen zu sichern) Verstärkung an, woraufhin erstmals TeilnehmerInnen der Demonstration eingeschüchtert wurden, als die ca. 10 Mann/Frau starke Verstärkung das Gitter öffnete und auf dahinter versammelte Teilnehmer los rannte / diese verscheuchte. Denn wer stehen bleibt, riskiert umgeschubst zu werden, was schließlich nicht nur Verletzungen sondern auch noch eine teure Anzeige zur Folge haben könnte (= "Widerstand gegen die Staatsgewalt"). Ein derart doppelt ungerechtes Vorgehen soll auch jene, die am vehementesten auf ihre Bürger- und Menschenrechte pochen (Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, Recht auf Meinungsäußerung aber auch Dokumentation mit Kamera und Video, also Medienfreiheit), dauerhaft abschrecken.

Eskalation am Schottentor

In der Folge versuchten viele, rasch den Ausgang Michaelerplatz zu erreichen um den auf einer parallel zwischen Ring und Herrengasse verlaufenden Rückmarsch der Burschenschafter an den Absperrungen der Seitenstraßen durch Parolen und Pfiffe zu stören. Nach 10 bis 15 Minuten folgten bereits ein paar Dutzend den Burschenschaftern bis zur Schottengasse/Ecke Mölker Bastei. Einige weitere liefen am Ring um die Ecke um die mit Fackeln auf der Anhöhe der Mölker Bastei versammelten Burschenschafter von dort aus zu beschreien. Wenige Minuten später waren somit etwa 150 DemonstrantInnen am Ring versammelt, weitere 100 bis 200, vielleicht auch mehr, in der Schottengasse/Mölker Bastei. Zahlreiche Burschenschafter besuchten daraufhin das an der Schottengasse liegende Restaurant Leupold, etwa 150 bis 200 demonstrierten in Sprechchören davor.

Die Hundertschaften der Polizei wirkten in dieser Zeit etwas verwirrt, fuhren immer wieder in Schleifen über den Ring, Schottentor, Schottengasse, Herrengasse, ohne irgendein erkennbares Ziel - außer vielleicht Verwirrung - damit zu verfolgen. Die lautstarken, aber friedlichen Kundgebungen rund um die Mölker Bastei gaben keinen Grund zum Einschreiten, abgesehen davon, dass diese "Nachdemos" natürlich nicht angemeldet waren, was nach vorherrschender Meinung unter den Beamt/innen der Wiener Polizei illegal und - je nachdem wie viele DemonstrantInnen ihnen gegenüber stehen - möglichst umgehend geräumt werden müsste.

Dieser Zeitpunkt, an dem die Polizei numerische Überlegenheit erreichte, dürfte gegen 22 Uhr erreicht worden sein, als nur noch etwa 100 bis 150 rund um die Mölker Bastei verteilt versammelt werden und die Sprechchöre leiser und seltener wurden. Zu den bereits dutzenden Mannschafts-Kleinbussen der Polizei gesellte sich ein weiteres Dutzend dazu, die Auflösung der Versammlung wurde durchgesagt, woraufhin sich der Großteil der Leute rasch Richtung Schottentor zurückzog, im Bewusstsein des massiven Polizeiaufgebotes, das rasch Position einnahm. Rasch war die gesamte Schottengasse zum Ring hin von einer Polizeikette abgesperrt, ein paar Dutzend Personen standen am Gehsteig/Haltestellenbereich auf der rechten Ring-Fahrbahnseite, direkt vor der Polizeikette.

Polizeiübergriffe ab 22:15 Uhr

Zwischen 22 und 22:15 Uhr (laut Indymedia-Liveticker um 22:14 Uhr) begann die Polizei auch gegen die restlichen verbliebenen Leute, die außerhalb der Polizeiabsperrung im Haltestellen- und Gehsteigbereich am Schottentor dem Treiben der Polizei (die in der Schottengasse mehrere Personen, die möglicherweise zu langsam weggingen, eingeschlossen hatte) zusahen, offensiv vorzugehen.

Eingeschlossen zwischen Polizeikette und Ring-Fahrbahn (der Verkehr floss bereits wieder) konnten diese Personen nicht ausweichen, als eine Gruppe Polizisten die Leute wegzuschubsen begann, und jene, die wegliefen, mit schnellem Schritt verfolgten. Wer dabei zu Sturz kam wurde fixiert und mit Handschellen abgeführt. Mehrere FahrradfahrerInnen wurden bei dieser plötzlichen und unangekündigten Aktion der Polizei äußerst unsanft vom bzw. über das Fahrrad gestoßen und ebenfalls (vorübergehend) festgenommen. Es gab weder zuvor noch nach diesem Einsatz der Polizei irgendeine Gewaltanwendung seitens der DemonstrantInnen, die sich ja zuvor widerstandslos bis zum Schottentor/Lueger-Ring zurückdrängen ließen.

Im Anschluss wurde auch die Hundestaffel beigezogen, die kurz darauf auf die andere Straßenseite des Rings stürmte, um jene Leute zu vertreiben, die sich dorthin zurückgezogen hatten und gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei skandierten. Dabei befanden sich auch mehrere Gruppen von Touristen und Passanten an der Haltestelle, die nicht wussten, wie ihnen geschah. Es folgten weitere Aktionen dieser Art, um die immer wieder an der Haltestelle versammelten letzten Reste der (ehemaligen) KundgebungsteilnehmerInnen zu verscheuchen. Bei einer dieser "über-den-Ring-Stürmen"-Aktionen wurden einige Personen festgehalten und ihre Personalien aufgenommen. Möglicherweise werden auch diese angezeigt? Fragt sich nur, nach welchem Paragraf?

Ein WienTV-Bericht (siehe Link-Sammlung unten) zeigt die Szenen vor der Eskalation und lässt danach Zeugen zu Wort kommen. Die Eskalation selbst wurde aufgrund der Annahme, die Kundgebung klinge nun langsam ab, verpasst. Ein Amateurvideo zeigt jedoch das aggressive Vorgehen der Polizei und die Verhaftungen unschuldiger DemonstrantInnen: ein Typ mit Fahrrad wird von Polizisten gepackt und weggezerrt, das Bild ist rucklig, Leute laufen hin- und her, aber man sieht doch, wie der Typ plötzlich mit dem Rücken am Boden liegt und Polizisten hinlaufen (sie hatten ihn vorher schon zu viert oder fünft am Körper gepackt, plötzlich liegt er 3 Meter weiter mit dem Rücken auf dem Boden, was ist wohl passiert?), zwei oder drei Polizisten tragen sein Fahrrad und schmeißen (!) es plötzlich auf den am Boden liegenden drauf (das ist jene Stelle, wo alle laut aufschreien), mindestens einer der neben/hinter ihm stehenden Polizisten tritt dann auch noch mehrmals auf ihn ein.

Nachtrag, 10.5.:
In einem Kommentar auf Facebook [Details dem Verfasser bekannt / belegbar] schildert ein Anwesender, wie er die Gewalteskalation der Polizei erlebt hat (Auszug, Originalschreibweise):

[...] in den Gesichtern der Poliziesten hat man direkt die Freude beim verwenden der Schlagstöcke und Treten auf Kopf und Oberkörper der demonstranten im Gesicht gesehen. Das ganze war aber min. 50m von diesem Lokal [Restaurant Leupold, Anm.] entfernt und sie haben leute die nie in der nähe des lokals waren wurde auch völlig grundlos zu boden geworfen und mit triten u knüppel weiter bearbeitet. ein bekannter kam mit in den Tumult obwohl er min. 50m meter vom lokal weg war und auch nicht einmal dort war, versuchten sie ihn trotzem niederzureißen, als das nicht geling, bekam 2-3 sehr feste schläge mit den stöcken auf die hand!!!
er hat natürlich die dienstnummer verlangt, darauf bekam er die antwort:" dienstnr ham wir heut kane, mußt zum einsetztleiter!" wo man diesen findet, kam:" des der mit´n vün gold, frag wem andern und jetzt kannst di schl..., a entfernen!" als antwort. er hat gezälhte 15 andere beamte gefragt und ca 90% sagten, "is ma wurscht, i kenn kan einsatzleiter, da mußt ume geh zum lokal" dass aber der ausgangs punkt der prügel aktion der polizei war. wahrschlich, damit gleich wieder ein paar leute nieder prügeln können. im Endeffekt bekam ausser großteils eigentlich beleutigungen keine einzige vernünftige antwort, so wie man im bericht sieht, z.b.: die adresse!! nach 13 beleutigungen und 2 völlig sinnlose antworten haben die freunde und helfer nicht geholfen! [...]
Videos zur Eskalation am Schottentor:
1) Amateurvideo auf Youtube: Eskalation bei Demo 8.Mai 2011 (Schottentor ca 22:00) (Polizisten überfallen Radfahrer)
2) WienTV: Eskalation (zur Eskalation durch die Polizei am Schottentor ab ca. 22 Uhr, ohne Bilder der Eskalation selbst)
3) Joyfilm99: Demo Wien 8. Mai (Bilder der Demo(s) inkl. Schottentor, ohne Eskalation selbst)

Nachtrag 11.5.:
Ein anonymes Posting auf Indymedia berichtet (unabhängig von den Polizeiübergriffen am Schottentor) von einem anderen Vorfall nach der offiziellen Demonstration, das hier der Vollständigkeit halber zitiert werden soll:
Einer Gruppe von vielleicht 40-50 Antifaschist_innen gelang es am Weg zurück zur Uni durch Hinterhöfe und ein Restaurant zum Sammelpunkt der sicher über 150 Rechtsextremen vorzudringen. Dabei ist es beinahe zu einer Konfrontation gekommen, lediglich ein einzelner Polizist versuchte die beiden Gruppen zu trennen. Als sich allerdings einige rechtsextreme Schläger aufbauten und die Antifas zum Kampf aufforderten, drehten diese klugerweise um. Außerdem kamen offensichtlich ziemlich gestresste Riot-Cops angerannt, die nicht wussten, ob sie Antifas festhalten oder vertreiben sollten. Ein Einsatzleiter schimpfe die Antifas noch "Satz es deppat, es satz in da Sperrzone!"
Links zur antifaschistischen Demo zum 8. Mai (Tag der Befreiung) gegen das "Toten-" bzw. "Heldengedenken" der deutschnationalen Burschenschaften des Wiener Korportationsringes (WKR) und FPÖ-Politikern am Wiener Heldenplatz.

Berichte (Auswahl):
- Indymedia: verschiedene Artikel zum 8. Mai - kein Tag der Trauer, Tag der Befreiung!
- nochrichten.net: Gestörtes Nazigedenken – Erstmals am 8. Mai nicht nur Deutschnationale auf Heldenplatz – Mehrere Antifaschist_innen beim Schottentor festgenommen.
- fm4.orf.at: 8. Mai: Trauer- oder Feiertag?
- derstandard.at: Rechtes "Totengedenken" ohne Strache
- derstandard.at (26.7.): "Totengedenken" am 8. Mai Burschenschafter als "öffentliche Belustigung"

Videoberichte Mass Media:
- ZIB 20: Spannungen am Heldenplatz - ZIB 20 Uhr - 8.5.2011
- derStandard.at-Nahaufnahme: Das "Totengedenken" der Burschenschafter am 8. Mai 2011. (Video links oben; Burschenschafter-Reden und Gedenkveranstaltung am Heldenplatz)
- derstandardattube: Burschenschafter

Videoberichte Social Media:
- Beitrag in WienTV-Nachrichten vom 10. Mai
- ichmachpolitik.at: Video vom "Totengedenken" am Heldenplatz samt Gegendemonstrationen, inkl. "Interview" mit David Ellensohn und Michael Genner (Asyl in Not) - 8.5.2011
- AUGEIUG: 8. Mai: NAZIFREI!! 8.5.2011 (Über die Gegen-(Antifa-)Demo, bis Heldenplatz)
- sonstige Youtube-Videos: Antifa-Demo 8.Mai 2011 - Wien, Nazis am Burgtor, 8.Mai 2011

Audio:
- cba.fro.at: Deutschnationale Heldenehrung am 8. Mai 2011 erstmals ernsthaft gestört – Tausende bei Befreiungsfeier und antifaschistischer Kundgebung am Heldenplatz.
- Die gesamte Burschenschafter-Rede als Audio-File

Fotos:
- Martin Juen: 8. Mai - Tag der Brefreiung "Totengedenken" d. Wiener Burschenschaften
- Indymedia: [Photos] Demo 8. Mai - Tag der Befreiung
- Indymedia: [Photos] Feier am Schwarzenbergplatz
- Indymedia: [Photos] Absperrungen am Heldenplatz
 
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