Freitag, 8. Juli 2011

Lobmeyr-Hof in Wien-Ottakring besetzt!

Seit kurzem - und seit 7. Juli öffentlich bekannt - ist der Lobmeyr-Hof (Roseggergasse 1-7) in Wien-Ottakring besetzt [Anmerkung: am 14. Juli wurde geräumt]. Der in etwa 50 bis 100 Wohnungen zählende Hof, einst Vorzeigeobjekt des sozialen Wohnbaus, steht derzeit bis auf zwei Mieter/innen - die sich über die unerwartete Unterstützung erfreut zeigen - komplett leer. Grund dafür ist, dass die Stadt Wien ("Wiener Wohnen") den Hof komplett leer haben will, um ihn - und hier gehen die Angaben auseinander - "aufzuwerten" (aufstocken, Wohnungen zusammenlegen, Lifte einbauen und schließlich zur doppelten Quadratmeter-Miete an eine andere Klientel neu vermieten) oder gar abzureißen (Haus verfallen lassen, bis der teilweise Denkmalschutz aufgrund von "Abbruchreife" hinfällig ist), um einem Neubau-Projekt (kolportiert wird u.a. der Bau eines Einkaufszentrums) Platz zu machen. Und das in einer Zeit, in der in Wien trotz internationaler Finanz- und Immobilienkrise (wohl eher: gerade deswegen) die Eigentums- und Mietpreise immer steiler in die Höhe schießen. Der Grund liegt auf der Hand: Immobilien sind eine sichere, inflationsunabhängige, Geldanlage. Da helfen auch noch so viele den sozial gerechten Wiener Wohnungsbau bejubelnde Inserate von Wohnbaustadtrat Ludwig in allen Boulevard-Zeitungen nicht, um diesen Umstand, dass Mietwohnungen in Wien immer teurer und für immer breitere Schichten der Bevölkerung unleistbar werden. Zeitgleich stehen rund 80.000 Wohnungen leer - viele davon nur, da sie als Spekulationsobjekt nur gewinnbringend gehandelt werden können, wenn keine Mieter drinnen sind. Ganz egal, wie gut der Zustand der Wohnungen ist und je besser die Lage, desto leerer und teurer die Objekte ...


Frei- und Grünräume der Öffentlichkeit zugänglich machen

Das Problem: eine/r der beiden Mieter/innen möchte seinen Mietvertrag nicht auflösen, alle anderen Mieter wurden, so Nachbarn, teils mit unsanften Methoden hinausgedrängt. Diese Methoden und der Umstand, dass es in Wien zu wenige Freiräume gibt und überhaupt kein autonomes Wohn- und Kulturzentrum, veranlasste die BesetzerInnen zur Besetzung des Lobmeyr-Hofes. Dort sollen ab nun mit Unterstützung solidarischer und interessierter Menschen Volksküche, Infoladen, Mediathek, Projekträume, Frauenraum und Kindersalon entstehen, der Spielplatz im Innenhof sowie die dortigen großzügigen Grünflächen sollen der Öffentlichkeit (die Nachbarschaft ist dicht verbaut) wieder zugänglich gemacht werden.

Macht Rot-Grün mit Legalisierung von Zwischennutzungen ernst?

Seit die Polizei die Besetzung am 7. Juli bemerkt hat, stattete sie den BesetzerInnen drei Besuche ab. Ab dem zweiten, am Morgen des 8. Juli, war auch eine Vertreterin von Wiener Wohnen dabei, die mit den BesetzerInnen in Verhandlungen trat. Doch jegliche Kompromissbereitschaft wurde von Anfang an abgeschmettert, das Haus müsse umgehend verlassen werden, die Polizei ergänzte, dass jegliche "Irritation" Grund zur Räumung sei. Letztlich liegt es aber an Wiener Wohnen als Eigentümer, mit den BesetzerInnen eine Lösung zu finden. Laut rot-grünem Koalitionspapier sollen leerstehende Räumlichkeiten, so es die Besitzer wünschen, einer Zwischennutzung zugeführt werden. Das rot-grün regierte Wien könnte als Eigentümer des Lobmeyr-Hofs mit gutem Beispiel voran gehen und mit den BesetzerInnen eine Zwischennutzung bis zur Klarheit über die Weiternutzung des Hofes bzw. bis zum etwaigen (Um)Baubeginn vereinbaren. Wie dies in der Praxis möglich ist, zeigen internationale Beispiele wie etwa die seit 1990 rot-grün regierte Stadt Zürich. Dort werden Hausbesetzungen als Zwischennutzungen so lange toleriert, bis der Eigentümer einen rechtskräftigen Abriss- oder Bautitel in den Händen hält. Stadt und Polizei halten es dort für wenig sinnvoll, ohnehin leer stehende Häuser in kostspieligen Großeinsätzen zu räumen, um sie danach erst recht wieder leer stehen zu lassen. Empörten Hausbesitzern, denen eine Räumung ihrer leerstehenden Häusern gar nicht schnell genug gehen kann, hält die Zürcher Polizei das Merkblatt Hausbesetzungen entgegen, wo genau festgehalten wird, wann die Polizei räumt und wann nicht.

Die Besitzer behaupten zwar gerne, dass eine Räumung rasch nötig sei, da Bauarbeiten "unmittelbar" bevorstünden, doch der Wahrheitsgehalt liegt in der Regel nahe Null, wie man bei früheren Besetzungen in Wien gesehen hat - so steht etwa das 2009 spektakulär geräumte Haus in der Triester Straße ("MA 2412"-Haus) nach wie vor ungenutzt leer, nachdem die Räumung mit bevorstehenden Bauarbeiten für ein Büroprojekt argumentiert wurde. Ähnlich in der Burggasse 2: das Haus in Top-Lage, das etwa 10 Jahre lang leer stand, wurde mehrmals besetzt und in Großeinsätzen geräumt - mit Bauarbeiten wurde erst dieses Jahr, 2011, begonnen.

Von einer Tolerierung oder gar Unterstützung der Zwischennutzung seitens der Stadt kann derzeit jedoch nicht gesprochen werden. Der wohl nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag der Vertreterin von Wiener Wohnen, die BesetzerInnen könnten doch einfach die Donauinsel nutzen, dort gebe es genügend Freiraum, wurde von den BesetzerInnen als wenig konstruktiv erachtet.

Wiener Wohnen verbarrikadiert Türen und Fenster

Wiener Wohnen zerstört neu eingebaute Fenster und günstigen Wohnraum

Da die BesetzerInnen auf die "Vorschläge" der Vertreterin von Wiener Wohnen nicht eingehen konnten, veranlasste diese, Nägel mit Köpfen zu machen - oder besser gesagt: Schrauben. Ein Handwerker-Team wurde angefordert, das unter Beisein der Polizei alle (!) Fenster des Hofes im Erdgeschoß mit Bohrmaschine zuschrauben ließ. Dabei wurden einfach die Fensterrahmen durchbohrt, die vielfach neu eingesetzten Fenster mit ihrer Fassung zusammengeschraubt. Dieses Vorgehen spricht doch eher gegen die Behauptung, das Haus würde später renoviert und weiter vermietet werden - wenn bereits renovierte Fenster gedankenlos zerstört werden. Sämtliche Eingangstüren wurden mit Brettern zusammengeschraubt.




Nach Auszug der Mieter werden die Wohnungen von der Stadt gründlich unbewohnbar gemacht


Haus bleibt besetzt

Derzeit stehen vor den beiden noch benützbaren Eingängen (es gibt zwei Wohnungs-Mieter sowie ein Blumengeschäft im gesamten Hof-Komplex) zwei PolizistInnen, die niemanden hineinlassen sollen [Anmerkung: am selben Abend, ca. 20 Uhr, wurden diese abgezogen]. Die BesetzerInnen bitten dennoch um rege Unterstützung von Außen - Fakt ist: die Zahl der BesetzerInnen wird immer größer, die Volxküche nimmt ihren Betrieb auf und Schlafplätze sind ohnehin schon eine Weile eingerichtet und nahezu unbegrenzt erweiterbar. Lebensmittel und nützliche Dinge aller Art können und sollen vorbeigebracht werden, einfach nach BesetzerInnen an den Fenstern Ausschau halten, irgendwie hat noch jede/r reingefunden ;) Nachtrag: die VoKü platzt schon jetzt aus allen Nähten - Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge, Kabeln und Lampen usw. sind jetzt (u.a.) gefragt; außerdem: ein erstes Interview aus dem Hof (ichmachpolitik.at).

In der Nachbarschaft und auf Indymedia wird derzeit der Text "Warum wir im Lobmeyr-Hof sind" verbreitet. Zeitgleich wurde übrigens auch in Linz ein Haus besetzt. Auch dort verlangt die Jugend nach einem neuen autonomen Zentrum.

Auch in Linz wurde besetzt: hauszweiundvierzig.blogsport.eu

Links (letztes Update: 15.7. - alles ab der Räumung im neuen Beitrag vom 14.7.)

Mitteilungen der BesetzerInnen:

- (seit 4.7.) offizieller Blog: http://autonomizethecity.blogsport.eu
- (4.7.) Indymedia: AUTONOMES ZENTRUM / AUTONOMOUS CENTRE (Ankündigung deutsch/english)
- (7.7.) Indymedia-Termin: Platz ist da! (Ankündigung der Eröffnung)
- (8.7.) Indymedia: Adresse des AZ Wien-Ottakring (frühzeitige Bekanntgabe der Adresse nach Entdeckung durch Polizei / also in english)
- (8.7.) Indymedia: Warum wir im Lobmeyr-Hof sind (Text aus dem Vorjahr + neuer Text als "Ergänzung" mit Hintergrund der Besetzung, Forderungen/Pläne/Wünsche)
- (9.7.) platzda.blogsport.eu: Hausbesetzung für ein Autonomes Zentrum in Wien (Vorstellungen / Wünsche / Forderungen)
- (10.7.) Indymedia: [Fotos] Autonomes Zentrum Wien Ottakring im besetzen Lobmeyr-Hof
- (10.7.) Indymedia: Have you ever squatted the heart of the beast?
- (12.7.) Indymedia: verfassungsschutz im besetzten lobmeyerhaus (Kurznachricht) + [Besetzung Lobmeyr-Hof] Stadt Wien ordert Barrikaden an - mit Fotos (Kurznachricht)
- (12.7.) Indymedia: Dringender Aufruf: Solidarität mit der Besetzung des Lobmeyr-Hofes! Kommt vorbei, nutzt alle Kanäle, um eine Räumung zu verhindern! (Lagebericht)
- (12.7.) Indymedia: Offener Brief aus dem AZ Ottakring im besetzten Lobmeyr-Hof

alternative Medien:

- (8.7.) ichmachpolitik.at: Interview im Hof (Video)
- (8.7.) cba.fro.at (Radio Orange): Hausbesetzung in Wien: Neues „Autonomes Zentrum Ottakring“ (Telefon-Interview um 17 Uhr)
- (8.7.) nochrichten.net: Neues „Autonomes Zentrum Ottakring“ – Lobmeyrhof besetzt. (Blog)
- (8.7.) Martin Juen: Hausbesetzung Lobmeyrhof – Roseggergasse 1-7 | Wien 08.07.2011 (Blog, u.a. Verhandlungen mit Wiener Wohnen + Fotoset auf flickr)
- (9.7.) Martin Juen: Hausbesetzung Lobmeyrhof – Roseggergasse 1-7 – ein update | Wien 09.07.2011 (+ weiteres Fotoset auf flickr)
- (10.7.) Martin Juen: Hausbesetzung Lobmeyrhof – Roseggergasse 1-7 – weiteres update | Wien 10.07.2011
- (10.7.) storiesfromaustria: Immer wieder diese Hausbesetzungen... (mit kurzem Video, siehe Ende dieses Blogposts)
- (11.7.) cba.fro.at (Radio Orange): Hausbesetzung in Wien: Autonomes Zentrum Ottakring – Besetzung und Belebung geht weiter. (Telefon-Interview mit Besetzer: Stand der Dinge, Projekte, Visionen ...)
- (12.7.) it's politics, stupid!: squatted in ottakring (Fotos vom 11.7.)
- (12.7.) ichmachpolitik.at: Lagebericht vom AZ Ottakring (Lobmeyerhof) vom Montag den 11.7.2011 (Video)
- (12.7.) diebin.at: Ferienzeit ist Squatting-Zeit: Autonome Zentren jetzt!
- (12.7.) schaetzchen.blogsport.de: wiener hausbesetzung
- (12.7.) Martin Juen: Hausbesetzung Lobmeyrhof – Roseggergasse 1-7 – Zusammenfassung | Wien 12.07.2011 (mit Updates vom Abend, sehr empfehlenswerter Tagesüberblick!)
- (13.7.) Commons und solidarische Ökonomie: Zwei neue Hausbesetzungen
- (13.7.) Daniel Weber: Auf Kurzbesuch im Autonomen Zentrum #az16 #lobmayrhof (Besucherbericht :))
- (13.7.) WienTV.org: AZ Ottakring (10min-Reportage! -> Spontandemo von Schrage-Gedenken zum Lobmeyr-Hof, zahlreiche Interviews mit Kulturschaffenden und Lokalpolitikern von Rot und Grün)

kommerzielle und Massenmedien, Presseaussendungen:

- (10.7.) Kronen Zeitung: Ottakring: Autonome besetzen Lobmeyr-Hof (Randnotiz, Faksimile)
- (11.7.) derstandard.at: Hausbesetzungen in Wien und Linz
- (11.7.) viennaonline: Aktivisten besetzen Lobmeyr Hof (mit Video und Interview)
- (12.7.) OTS-Aussendung der GRAS: Forderung an Rot-Grün: Unterstützen statt Lobmayrhof räumen! (Erinnerung an "Agentur für Zwischennutzung")
- (13.7.) OTS-Aussendung der GAJ: Keine Räumung des Lobmeyr-Hofs
- (13.7.) OTS-Aussendung der Grünen Wien: Grüne Wien solidarisch mit BesetzerInnen des Lobmeyrhofs (Utl.: Zwischennutzung erwünscht)
- (13.7.) wienweb.at: Ottakring: Autonome kapern Lobmeyr-Hof


 
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