Freitag, 5. August 2011

Der Wiener Weg: Die Stadt gehört sicher nicht dir! - oder: Squat til you drop!

[Update: In der Nacht von 4. auf 5.8. wurde kurrzeitig die Triester Straße 114 ("MA 2412") wieder besetzt. Sollten dort laut Wohnbaustadtrad Ludwig nicht seit Montag die Umbauarbeiten stattfinden? --> Meldung auf Indymedia, 5.8.]
letztes Update: 5.8.2011
Nach der (überraschenden, da bereits Sonntagvormittag, 31. Juli, geschehenen) Räumung der Triester Straße 114 (diente einst als Kulisse der ORF-Sitcom "MA 2412") ließen sich die BesetzerInnen nicht lange lumpen und besetzten kurzerhand - am Abend des selben Tages - ein leer stehendes 4-Sterne-Hotel in der Grünbergstraße 11. Die Besetzung war "still", wurde also nicht nach außen bekannt gegeben. Erst am nächsten Morgen wurde via Twitter und Indymedia dazu eingeladen, auf eine Pizza vorbei zu schauen. Doch kaum war diese Meldung draußen, wurde das Hotel von der WEGA in Begleitung des LVT gestürmt, mehrere Personen wurden sogar vorübergehend festgenommen (alle Angaben laut der einzigen Mitteilung der BesetzerInnen auf Indymedia). Daraufhin zog eine Spontandemonstration via Gudrunstraße u.a. zum zuständigen Polizeirevier/Gefängnis, bis einige Stunden später alle frei gelassen wurden.

Über Details zur Räumung, den Gründen der Verhaftung und ob das Hotel tatsächlich leer stand (es hieß, die Betten seien gemacht gewesen und jemand meinte, das Hotel sei nur zur Renovierung geschlossen - Angaben, die ich persönlich leider nicht überprüfen konnte und kann, da ich derzeit nicht in Wien bin) wurde nach außen nichts bekannt gegeben, wäre jedoch noch interessant. Denn wenn es zu Verhaftungen kam und augenscheinlich nicht einmal einen Räumungsbescheid gab [Foto des Räumungsbescheids bei Martin Juen] (auch bei der Triester Straße-Räumung hieß es bereit, es hätte laut Einsatzleiter keinen Räumungsbescheid gegeben; kann dies mittlerweile bestätigt werden?), dann liegt es mit dem Rechts- und Polizeistaat gleich in mehrerlei Hinsicht im Argen.

Wien ist und bleibt anders. Keine Frage. keine Diskussion.

Es ist augenscheinlich, dass die Stadt - und mit ihr und sowieso die Polizei und der LVT - nervös ist. Der Vorteil einer Hausbesetzung in Österreich ist, dass die Politik eine solche nur schlecht "aussitzen" kann (und eine solche sowohl zivil- als auch verwaltungs- und strafrechtlich schwer zu fassen ist). Und aussitzen ist die stärkste Waffe, die die österreichische Politik kennt - zumal man Problemen am liebsten aus dem Weg geht und sich dadurch Konfrontationen erspart. Bei Hausbesetzungen geht das nicht. Daher kommt nun Aufgregung in den friedlich vor sich hin dampfenden Misthaufen namens Wiener Stadtverwaltung und dem mit ihr eng verflechteten Polizeiapparat. Wenn aussitzen nicht funktioniert - und für diese Erkenntnis braucht man selbst in Wien nicht lange, wozu gibts denn die Experten vom LVT? - greift man bekanntlich zur nächstbesten Methode, wenn man auf dem längeren Ast sitzt: ausgrenzen, aussperren, austreiben. Oder anders gesagt: Gewalt, Repression.

Daher ist es kein Wunder, dass Stadt & Polizei nun bei jeder neuerlichen Besetzung, kaum wird diese öffentlich bekannt (oder sogar schon davor), umgehend mit der WEGA antanzt. Und wer beim ersten Mal (Lobmeyr-Hof) nicht hören will (wo man sich noch Mühe gegeben hat, den Schein zu wahren), braucht bei den nächsten Malen wirklich nicht zu erwarten, dass sich der Moloch namens Wien auch nur einen Deut um Gesetze, Verfassungsrechte oder sonstigen Gutmenschen-Schnickschnack schert: Raus mit dem Pack, aber zackig! Am besten gleich einsperren, rechtliches Zeugs hin- oder her, und für ein paar Stunden U-Haft braucht es ja nicht mal irgendeinen haltbaren Vorwurf. Praktisch!

Und somit ist es allerhöchste Zeit, sich zu fragen, wie das ganze weitergehen soll. Der "Wiener Weg" ist klar vorgegeben - war er auch immer schon - und es war klar, dass sich die Stadt nicht von ein paar Grünen in "ihrer" Regierung oder ein paar "Antikapitalisten" davon abbringen wird: Wohnbaustadtrat Michael "bekannt aus Inseraten in ihrer Gratiszeitung" Ludwig hat erst vor wenigen Tagen nochmal betont: "Hausbesetzungen werden nicht toleriert." Punkt. Fertig. Ende der (nie begonnenen) Diskussion.

Wie weiter?

So weit, so schlecht, so klar, so absehbar. Mit jedem Mal wird die Repressionsstufe weiter erhöht. Das Ziel ist eindeutig: Es soll auch dem letzten Möchtegern-Hausbesetzer (innen und am besten überhaupt außen) so rasch wie möglich klar werden: Wien bleibt Wien, mia bleim mia und ihr kinnts eich schleichen! Wer Freiraum will, kann ja auf die Donauinsel. Wer "irgendwas autonomes" will, soll ins EKH oder Amerlinghaus gehen (und Krankenhaus gibts ja auch schon eines, wozu noch eins?) und wem das alles nicht passt, soll doch auswandern.

Auch wenn einem das alles bewusst ist, droht es einen doch irgendwann zu zermalmen. Was kann man dagegen machen? Eins ist klar: jetzt aufgeben bringt gar nix. Nächstes Jahr wird es sicher nicht leichter. Es sei denn, die Wirtschaftskrise schlägt voll durch und auch zweiseitige "Heute"-Inserate trösten die WienerInnen nicht mehr über immer höher werdende Mieten hinweg - Bobo-Aufstand in Neubau und in der Josefstadt! Dass so etwas möglich ist, dafür gibt es täglich mehr Beispiele: die großen Proteste (kürzlich 150.000 Demonstrierende auf den Straßen in den Städten des Landes) gegen explodierende Mieten in Israel, die man vor wenigen Wochen noch nicht für möglich gehalten hätte, sind nur das jüngste. Dass in Spanien immer noch täglich Plena in den Stadtbezirken (barrios) abgehalten werden, steht zwar in keiner Zeitung, passiert aber trotzdem. Und es wird noch bald genug wieder so weit sein, dass auch bei uns wieder was darüber in der Zeitung steht. Und dass es in Italien schon seit Jahren gärt, kümmert zwar keinen Café Latte-Trinker in den Lieblings-Cafés der Wiener JournalistInnen, aber auch das ist trotzdem (dürfens denn das?) so! Echt!

Aufstand im Bobo-Land

Aber wahrscheinlich ist ein solcher Bobo-Aufstand trotzdem nicht. Von nichts kommt nichts. Aber wie sich schon vor zwei Jahren bei der erstmaligen Besetzung der Triester Straße 114 gezeigt hat, haben Hausbesetzungen (und Besetzungen als radikales Mittel der Verneinung herrschender (Besitz-)Verhältnisse) enormes Potenzial, Proteste zu katalysieren. Nur zwei Wochen nach Räumung der Triester Straße im Oktober 2009 wurde die Akademie der bildenden Künste und schließlich das Audimax der Universität besetzt: für zwei Monate! Und jetzt sage niemand, das habe eh alles nix gebracht ... wenn dem so wäre, warum ließt du dann eigentlich diesen Blog??? Und warum schreibe ich ihn? ;)

à propos Medien, da sind wir eh schon beim richtigen Thema: die Besetzung des Lobmeyr-Hofes und jene der Triester Straße (also alle diesjährigen Besetzungen, die mehr als zwei Tage Bestand hatten!) haben es zu - je nach Perspektive - erstaunlich großer Medienberichterstattung gebracht (nicht nur derstandard.at - ganz im Gegenteil, die MA2412-Räumung war am ersten Tag de facto eine Exklusiv-Story des ORF). Und auch wenn die Kronen Zeitung als offizielles Organ der Stadt Wien verlautbart, dass es nur der Sicherheit der Nachbarn gedient habe, den Lobmeyr-Hof zu räumen, gibt es dennoch - sogar bei der Krone - jedes mal ein paar Tausend LeserInnen, ich wage sogar zu behaupten, ein paar Hunderttausend - die ganz genau wissen, was für Bullshit ihnen da aufgetischt wird, und dass die Suppe anders gekocht wurde, als sie ihnen serviert wird.

Und überhaupt: Über die Qualität der Berichte lässt sich bei allen Medien vortrefflich streiten (bzw. auch nicht, da wir uns vermutlich rasch einig sein werden), denn dass die meisten JournalistInnen keine Ahnung haben, was das ganze überhaupt soll und ob das nicht irgendwie lächerlich ist, sowas in Wien aufzuführen (wieder mal: dürfens denn das??), das geben sie in ihrer Überforderheit mit dem Thema sogar schon selber zu (vgl. Roman Rafreider in der ZIB 24). Aber: es wird berichtet. Und mit jedem Bericht wird die Sensibilität für neue Besetzungen erhöht. Mit jedem Bericht steigt der Kreis jener Menschen, die das ganze nicht nur als Lückenfüller im Sommerloch sondern als eine Entwicklung oder Bewegung wahrnehmen. Und mit jedem und jeder, der dies so wahrnimmt, steigt die Zahl jener, die beim nächsten mal einen Teppich vorbeibringen, oder eine Couch, oder eine Matratze - oder sich selbst. Das weiß auch die Stadt (daher die immer schnelleren Räumungen) und das sollten daher auch die BesetzerInnen wissen.

Squat til you drop

Mit jedem Bericht steigen auch die Kenntnisse der JournalistInnen, die durch die Ereignisse (und das Sommerloch) gezwungen werden, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Und ja, ich glaube, manchen macht das sogar Spaß ;) Kapitalismuskritik ist ja derzeit ziemlich in Mode, HausbesetzerInnen hätten das Zeug, in gewisser Weise als Trendsetter wahrgenommen zu werden (auch wenn ich vermute, dass es nur wenig gibt, was sie mehr ankotzen würde; aber man muss es ja auch nicht so PR- und werbegestört formulieren, wie ich es gerade tue. Aber man kann es. Und es zeigt, dass die Mechanismen, mit denen uns tagtäglich das neue beste ultrageile Waschmittel verkauft wird im Grunde genau so gut durch subversive Botschaften ersetzt werden könnten. In diesem Sinne muss Squatting also Trendsport werden ;)).

Man muss eben die richtige Mischung aus "streichelweich" und "radikal" finden, dann wird man womöglich sogar noch Liebling der Woche in der Tierecke bei Maggie Entenfellner - und es gibt nichts in diesem Land, wovor die Herrschenden mehr Angst hätten ...

Wenn Hausbesetzen nicht nur Mittel zum Zweck (zB. Wohnen) ist, sondern ein politisches Statement, eine Kampfansage an den Kapitalismus - oder auch einfach "nur" das Vorzeigen einer Alternative zu festgefahrenen Lebensentwürfen, dann brauchen Hausbesetzungen auch öffentliche Aufmerksamkeit. Und wenn mehr als nur "die üblichen Verdächtigen" erreicht werden soll, braucht es mehr, als Indymedia und Blogs wie diesen. In diesem Sinne halte ich es durchaus für berechtigt, sich Gedanken zu machen, ob und wie man in den Medien vor- bzw. ankommt, selbst wenn es noch so verabscheuungswürdige Produkte wie Krone, Heute oder Österreich sind. Und es ist ja nicht so, dass sich niemand darüber Gedanken machen würde. Lobmeyr-Hof und das MA2412-Gebäude waren ja regelrechte "PR-Erfolge", wenn man so will.

Umso wichtiger ist es daher, jetzt nicht nachzulassen, die eigenen Botschaften weiter auszuformulieren (wenn in der Zeitung steht, man würde "Sanierungen bekämpfen", ist irgendwas schief gelaufen ;)) und sich von Polizeigewalt und systematischen Gesetzesverstößen der Repressionsbehörden nicht einschüchtern zu lassen, sondern ganz im Gegenteil, diese zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Das sorgt für Gesprächsstoff und bringt die Verantwortlichen unter Druck. Denn ist eine Information erst einmal (im Internet) veröffentlicht, findet sie immer ihren Weg zu jenen, die sie am dringendsten benötigen - und auch zu jenen, denen sie am unangenehmsten ist.

siehe auch:
- Indymedia, 1. August 2011: 4* Hotel besetzt
- Indymedia, 1. August 2011: [wien] Besetztes Hotel wurde heute geräumt
- Martin Juen, 1. August 2011: Besetztes Haus Kaiserpark Schönbrunn – eine Zusammenfassung | Wien 01.08.2011
- ORF, ZIB 24, 3. August 2011: Hausbesetzung 2.0 (youtube)
 
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